| Buch-Manuskript"Abschied von der Natur"
ABSCHIED VON DER NATUR Die Zukunft des Lebens ist Technik Metropolitan Verlag, Düsseldorf 1997
(21.04. 2016)
Ich möchte hier erstmals den vollständigen Text meines Buches "Abschied von der Natur" (1997) auf die Homepage stellen und habe dazu ein neues Vorwort geschrieben (das ich hier verkürzt widergebe). Zwar habe ich schon 2013 eine umfangreiche Fassung als PDF eingestellt, aber die hatte Fehler und Mängel, die ich jetzt - hoffentlich - korrigiert habe. Allerdings habe ich den Text nicht inhaltlich überarbeitet oder aktualisiert, das hätte ein weitgehend neues Buch erfordert.
Auf Grund der hysterisch-polemischen Reaktionen nach der Veröffentlichung und auf Grund der Tatsache, dass dieses Buch partiell überholt ist, hatte ich mich erst dagegen entschieden, das vollständige Manuskritpt hier einzustellen. Aber das Buch enthält doch so viele wichtige Ideen, dass ich es gerne vollständig auf meiner Homepage repräsentiert haben möchte. Und heute dürften die Reaktionen auch gelassener sein ...
NEUES VORWORT (21.04.16)
Mein Buch "Abschied von der Natur" erschien 1997, das ist also fast 20 Jahre her. Damals war Gerhard Schröder noch Ministerpräsident in Niedersachsen und Angela Merkel Umweltministerin unter Kohl. Man kann natürlich fragen, ob das Buch nicht so veraltet ist, dass es sich gar nicht lohnt, es neu auf der Homepage zu veröffentlichen. Einmal davon abgesehen, dass ich als Autor eben gerne mein weitgehend vollständiges Werk an einem (virtuellen) Ort zusammenstellen möchte, ich meine, dass "Abschied von der Natur" zwar in den aktuellen politischen Bezügen völlig überholt ist, dass aber viele seiner Grundgedanken und erst recht viele Einzelanalysen bis heute gültig sind.
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Die Neuveröffentlichung von „Abschied von der Natur“ soll in zweierlei Weise geschehen.
1) Der gesamte Text wird als PDF eingestellt (frei zum Download)
2) Der Text wird hier eingestellt, zum direkten Lesen
zu 1) PDF: Diese PDF-Datei beinhaltet den vollständigen Text meines Buches "Abschied von der Natur".
2) zum Lesen auf der Homepage Nachfolgend der Text des Buches „Abschied von der Natur“. Das neue Vorwort habe ich rausgenommen, weil das ja oben schon zu lesen ist.
Ich beginne erst einmal mit den ersten beiden Kapiteln des I. Teils. Es ist geplant, später weitere Kapitel, vermutlich den gesamten Text einzustellen. Allerdings ist das mit verschiedenen technischen Problemen verbunden. ..........................................................
Ben - Alexander Bohnke
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INHALT
VORWORT
Die Natur verschwindet aus unserer Welt, jeden Tag mehr. Tiere, Pflanzen, Landschaften, Gewässer - sie sterben aus oder sterben ab. Die Natur insgesamt wird untergehen. Und sokommt die Zeit, sich von ihr zu verabschieden. Der Niedergang der natürlichen Umweltist eine Tragödie. Aber wir Menschen können trotzdem weiterleben. Das kommende Ende der Natur ist für uns sogar die Chance zu einem Entwicklungssprung. Befreit von naturgegebenen Zwängen werden wir endlich ein selbstbestimmtes Leben führen und unsere eigene Welt aufbauen, mittels einer neuen Mega-Technik. Der Mensch hat nur zwei Möglichkeiten: Entweder er geht mit der Natur zugrunde, oder er koppelt sich von ihr ab.Deshalb halte ich es gerade für falsch, wenn überall gefordert wird, wir sollten die Umwelt mehr schützen und die Technik stärker beschränken. Denn die Natur ist unheilbar krank, sie kann nicht gerettet werden. Nur mit neuartigen Technologien können wir Menschen überleben. Aber auch, wenn die Natur noch eineChance hätte, sie soll gar nicht gerettet werden. Denn sie ist veraltet, überholt, ein Auslaufmodell. Sie paßte zur Kindheit des Menschengeschlechts, war seine Spielwiese. Doch seinem heutigen Evolutionsstand ist sie nicht mehr angemessen. Wir müssen vielmehr in Richtung Zukunft voranschreiten und dafür immer leistungsfähigere High-Tech-Systeme entwickeln.
Ein Schlüsselerlebnis
Die Idee zu diesem Buch kam mir auf einem Waldspaziergang im Frühling. Ich schaute mir die Bäume an, und fast alle zeigten braune, kranke Stellen in den Blättern oder vergilbte Nadeln. Viele verloren auch Blätter, trotz des Frühjahrs. Manche Bäume sahen richtig häßlich aus, es machte wenig Freude, an ihnen entlangzugehen. Plötzlich spürte ich eine Ahnung wie eine Gewißheit: Es ist aussichtslos, diesen Wald noch heilen zu wollen. Den bekommt man nicht mehr gesund. Und weiter: Wie mit diesem Wald, so steht es mit derganzen Natur. Sie befindet sich auf einem "absterbenden Ast". Auch wenn wir größte Anstrengungen unternehmen würden, auch wenn wir endlich zu einer kompromißlosen Öko-Politikbereit wären (was wir bisher nicht waren), wir könnten unsere natürliche Umwelt doch nicht mehr sanieren und bewahren. Zwar beschäftigte ich mich schon über Jahre intensiv mit dem "Waldsterben" und überhaupt der Umweltverschmutzung, hatte viel darüber gehört und gelesen, was mir Sorgen machte. Doch all dies besaß für mich nicht die zwingende Überzeugungskraft wie meine eigene Intuition, die unmittelbare Erkenntnis auf dem Spaziergang. Und so erschrak ich. Nicht allein wegen der Natur, sondern noch mehr wegen dem Schicksal der Menschen. Mir fiel die berühmte Prophezeihung der Indianer ein: Erst stirbt der Wald, dann stirbt der Mensch. Geht mit dem Untergang der Natur auch die Menschheit notwendig unter? Aber dann hatte ich einen aufregenden Einfall - und ihm folgte neue Hoffnung: Wir Menschen können leben, auch wenn die Natur stirbt. Wir müssen uns eben eine neue Lebensbasis suchen bzw. selbst schaffen, eine künstliche, technische Lebensbasis. Darauf sind alle unsere Anstrengungen zu richten, anstatt vergeblich für die Genesung der todkranken Natur zu kämpfen. Das Wichtigste daran ist jedoch: DerMensch kann aus der Not eine Tugend machen, in der Krise liegt eine Chance. Denn obwohl die Natur uns bisher weitgehend körperlich versorgt, genährt und gekleidet, sowie seelisch vielfach bereichert hat, so hat sie uns andererseits eingeengt, abhängig gemacht und gequält. Naturkatastrophen, Eiseskälte und Gluthitze, Raubtiere und Giftpflanzen, Krankheitserreger und Ungeziefer - obwohl schon heute durch die Technik sehr gemildert, die natürliche Umwelt beschert uns immer noch viele Gefahren und Widerlichkeiten. Doch der Mensch - in den Industriestaaten - hat den Blick dafür mehr und mehr verloren. Wir huldigen einem Mythos der Natur, wir idealisieren und romantisieren sie. "Natürlich" scheint uns deckungsgleich mit friedlich und gesund, gut und schön. Aber die Natur war stets primär ein "Kriegsschauplatz", wo der Kampf ums Überleben herrschte. Sie war nie ein Paradies und ist es heute - angesichts ihres Siechtums - erst recht nicht mehr.
Technikliebe statt Naturliebe
Es wird Zeit für eine neue, realistische Sichtweise der Natur, einschließlich ihrer häßlichen und "boshaften" Seiten. Und entsprechend brauchen wir eine neue Sicht von Technologie. Obgleich wir, in den industrialisierten Ländern, bereits in einer großteils technisch bestimmten Welt leben und deren Annehmlichkeiten genießen, besitzt dieTechnologie noch immer ein eher negatives Image, als kalt, fremd oder gar feindlich - Stichwort "Technokratie". Wir sollten zu einem neuen, zeitgemäßen Technikverständnis, ja zu einer Freundschaft mit der Technik finden. Dieses zukünftige -"technophile" - Bewußtsein kann man als Technologismus bezeichnen. Es äußert sich in einer Techno-Evolution, in einer massiven und gezielten Förderung innovativer Hochtechnologie. Das bedeutet aber keine blinde Technikgläubigkeit, kein Übersehen technisch bedingter Risiken und Probleme. Man wird intensiv daran arbeiten, technische Verfahren "bedienerfreundlicher" und damit menschenfreundlicher zu gestalten. Es genügt jedoch nicht, daß wir uns vonder äußeren Natur loslösen. In einem zweiten Schritt haben wir uns auch von unseren inneren Natur, der Natur in uns zu emanzipieren. Der Mensch muß sein "natürliches" Erbe an tierischen Verhaltensweisen, vor allem irrationale Aggressionen und Ängste überwinden. Ebenso ist die physische Natur des Menschen, sein Körper zu verändern, damit er besser gegen Krankheiten ankommt und in der neuen technologischen Umwelt optimal funktioniert. Hierbei werden auch Methoden wie Gentechnik und Bioelektronik zum Einsatz kommen. Indem der Mensch so seine Welt und sichselbst umgestaltet, sogar neu erschafft, rückt er ganz in den Mittelpunkt seiner Existenz. Er ist jetzt wirklich "das Maß aller Dinge". Ich möchte diese Selbstzentrierung des Menschen in seinem Handeln wie Bewußtsein Hominismus nennen. Man kann von einem "post-biologischen" Zeitalter sprechen, weil die biologische Evolution weitgehend von einer technologischen Evolution abgelöst wird, die der Mensch eigenhändig steuert. Das hat nichts mit Hybris oder narzißtischem Größenwahnzu tun, sondern ist geradezu eine geschichtliche Notwendigkeit. Man könnte auch von einer Techno-Aufklärung sprechen. Das Programm der Aufklärung im 17./18. Jahrhundert lautete, den Menschen zu Vernunft und Freiheit, Selbstverantwortung und Selbstverwirklichung zu führen. Dieses Programm mußte letztlich scheitern, weil der Mensch noch zu stark der - äußeren wie inneren - Natur verhaftet war. Das hat im Laufe der Geschichte immer wieder Denker bzw. Geistesströmungen veranlaßt, die Aufklärung insgesamt abzulehnen und womöglich eine Rückbesinnung auf die Natur zu fordern. Aber es gibt kein Zurück, auch und erst recht kein "Zurück zur Natur". Und mit der technischen Revolution hat der Mensch erstmals eine Chance, die Ideale der Aufklärung zu verwirklichen.
So entstand dieses Buch
Am Anfang meiner Arbeit standen die zwar intuitiv-eindringlichen, doch noch wenig präzisen Vorstellungen bei dem Waldspaziergang. Dann fing ich an zu recherchieren, Fachliteratur zu lesen, mit Menschen, Laien wie Experten zu diskutieren und das Thema im Einzelnen zu durchdenken. Trotz all dieser Bemühungen bleibt es ein Anfang. Ich beanspruche weder, den richtigen Weg in die Zukunft genau zu kennen, noch meine Vision streng wissenschaftlich beweisen zu können. Auch möchte ich weniger neue Techniken im Detail darstellen, sondern vor allem den Bewußtseinswandel - von der Natur hin zur Technik - beschreiben bzw. einfordern. Meine Kritik an der Natur bzw. an derÖkologie ist ungewohnt, widerspricht dem allgemein verbreiteten Denken. Denn die Natur ist "in", "mega-in". Jeder liebt sie (oder behauptet das wenigstens), man hat nur Positives über sie zu sagen und beklagt ihren Niedergang als Verlust. Die Natur ist eine heilige Kuh, die keiner zu melken und schon gar nicht zu schlachten wagt. Ich rühre an diesem Tabu, in vollem Bewußtsein. Das bedeutet keine Naturfeindlichkeit.Man erweist der - todkranken - Natur sogar mehr Achtung, wenn man sie in Ruhe sterben läßt, anstatt versucht, sie mit Gewalt am Leben zu halten. Es ist höchste Zeit, sich von der Natur zu verabschieden. Mit einem weinenden und einem lachenden Auge, in Trauer, aber auch mit Erleichterung. Unsere neue Lebensgrundlage, unsere neue Heimat ist die Technik. Die Natur stirbt - es lebe die Technik! Und es lebe der Mensch!
I. TEIL
Die Natur stirbt, es lebe die Technik!
Das Buch ist in zwei Teile untergliedert. In diesem I. Teil stelle ich meine Natur-Kritik und die daraus folgende Technik-Alternative in ihren Grundzügen vor. Sie erfahren, - welche Schreckensseiten die Natur um uns besitzt, aber auch, wie gefährlich die Natur in uns ist - warum die äußere Natur, Tiere und Pflanzen aussterben und was das für uns Menschen bedeutet - wie wir durch neue Techniken einen Ersatz für die Natur schaffen, ja ein besseres Leben (er)finden können - und wie wir in Zukunft unsere innere - seelische und körperliche - Natur technologisch weiterentwickeln werden. Im II. Teil veranschauliche ich dann an vielen Einzelpunkten und mit vielen Beispielen, wie stark wir noch dem "Prinzip Natürlichkeit" verhaftet sind, aber auch, auf welche Weise wir uns davon loslösen können. Folgen Sie mir auf den Weg in ein weitgehend naturfreies, naturbefreites Leben - in eine zukünftige Techno-Welt.
1. Das Elend der Natur
"Rettet die Natur!" So klingt es uns seit Jahren in den Ohren. Naturfreunde und Umweltschützer klagen und mahnen. "Es ist 5 Minuten vor 12, allerhöchste Zeit, um unsere Umwelt endlich wirksam zu schützen. Wir müssen alles tun, um die Natur vor dem Siechtum zu bewahren." Richtig an diesen Mahnungen ist, daß die Natur sich in einem beklagenswerten Zustand befindet. Und ich möchte mit diesem Elendszustand beginnen, eine Übersicht über die Hauptschädigungen der Natur geben. Das mag so klingen, als reihe ich mich in den Chor der Öko-Klager ein. Lassen Sie sich aber überraschen! Sie werden bald erfahren: Ich ziehe völlig andere und ungewöhnliche Schlüsse aus der Notlage der Natur. Viele Pflanzenarten sind bereits ausgestorben, andere stehen kurz davor. Und auch die Pflanzen, die (noch) als ungefährdet gelten, sind mehr oder weniger angeschlagen. Am krassesten ist das vielleicht beim sogenannten Waldsterben zu sehen. Jedes Jahrverzeichnet der "Waldschadensbericht" eine weitere Ausbreitung der Schädigungen unserer Bäume. Mittlerweile gelten etwa 70% der Wälder in Deutschland als geschädigt, 25% davon als stark. Am härtesten betroffen ist ausgerechnet die deutsche Eiche. Vier von fünf Bäumen sind krank. Selbstverständlich ist nicht nur der deutsche Wald betroffen. Am schlimmsten in Europa steht es um die Bäume in England und Polen (über 90% geschädigt). Übrigens, schon der gesunde Menschenverstand sagt einem, daß wenn die meisten Bäume einer Region erkrankt sind, daß dann die anderen (die ja denselben Schädigungen ausgesetzt sind) nicht völlig gesund sein werden, auch wenn man es ihnen (noch) nicht ansieht. Während die europäischen Bäume in erster Linie durch Schadstoffe aus Luft, Wasser und Boden dezimiert werden, wird auf dem amerikanischen Kontinent der Wald primär durch Rodung gekillt. Vor allem die Abholzung der Regenwälder erreicht gigantische Ausmaße. Jede Sekunde wird heute ein Waldstück von der Größe eines Fußballplatzes leergesägt, jährlich eine Fläche von über 200.000 Quadratkilometern. Um die Tiere ist es nicht besser bestellt. Ihr Artensterben hat eine enorme Beschleunigung erfahren. Man schätzt, daß früher in jedem Jahrhundert etwa eine Art ausstarb, um 1900 bereits eine Art pro Jahr, heute fast eine Artj e Stunde. Wobei eine Großzahl der Tiere eben gerade darum zugrundegeht, weil ihnen mit dem Waldsterben ihr natürlicher Lebensraum abhanden kommt. Aber auch die unterschiedlichsten Schadstoffe, die sie mit der Nahrung oder über Haut undLunge aufnehmen, können zum Artentod führen oder erst einmal zu den verschiedensten Erkrankungen, zum Beispiel Krebs und Mißbildungen.
Dicke Luft &Co.
Eine große Rolle bei der Aufnahme von Schadstoffen spielt die sogenannte Luftverschmutzung. Durch Industrie, Kraft- und Fernheizwerke, Haushalte bzw. Kleinverbraucher und Verkehr werden Schadstoffe in die Luft abgegeben. Die wichtigsten sind Schwefeldioxid (SO 2), Stickoxide (No x, vor allem NO 2),Kohlendioxid (CO 2), Kohlenmonoxid (CO), organische Verbindungen(z. B. durch Lösemittelverbrauch) und sonstige, zum Teil schwermetallhaltige Stäube. Diese Substanzen führen zu einer Dunstglocke, vor allem über den Großstädten, bei ungünstiger Witterung zu Smog. Außerdem wird ein sogenannter Treibhauseffekt ausgelöst: Die "Klima-Gase" wirken in der Atmosphäre wie die Glasscheiben in einem Treibhaus. Sie lassen das Sonnenlicht herein, verhindern andererseits jedoch, daß die von der Erde reflektierte, zurückgestrahlte Wärme ins All entweicht. Gegenüber dem Zeitraum vor der Industrieentwicklung ist die Temperatur bereits um etwa 0,7°C gestiegen. Es wird vermutet, daß die Wetterkapriolen in den letzten Jahren, die Zunahme von Orkanen, Dürren sowie Überschwemmungen bereits mit dieser Erwärmung zusammenhängen. Mit dem Treibhauseffekt steht das "Ozonloch" in Verbindung. Fluor-Chlor-Kohlen-Wasserstoffe(FCKW), die vor allem als Kältemittel und als Treibgase (in Spraydosen) verwendet werden, dringen in die Atmosphäre und greifen die Ozonschicht an, wodurch die UV-Strahlung, das ultraviolette Sonnenlicht ungehindert auf die Erde gelangen kann, mit einer gefährlichen Strahlenintensität. Noch weit gefährlicher ist aber die radioaktive Strahlung. Zwar gibt es auch eine natürliche Radioaktivität, aber deren Werte werden inzwischen durch technisch erzeugte Kernstrahlung weit übertroffen. Diese künstliche Radioaktivität resultiert aus Atomwaffenversuchen sowie aus Störfällen in Kernkraftwerken wie in Tschernobyl, aber offensichtlich auch aus dem Normalbetrieb von Kernreaktoren, zusätzlich aus verschiedenen medizinischen Maßnahmen, insbesondere Röntgenuntersuchungen (die allerdings normalerweise "nur" den Einzelnen betreffen, nicht die gesamte Umwelt). Wie es der Luft und Atmosphäre schlecht geht, so auch dem Wasser. Ozeane kippen um, d. h. sie "sterben" an Sauerstoffmangel, weil sie durch ungeklärte Abwässer, Dünnsäureverklappung, Ölkatastrophen nach Tankerunfällen u.v.m. überlastet sind. Viele Flüsse sind infolge von Industrieeinleitungen zu Chemiebrühen geworden, in denen zu baden lebensbedrohlich sein kann. Der Regen fällt als "saurer Regen", mit gelöstem Schwefeldioxid. Und das Trinkwasser aus den Wasserleitungen ist trotz aufwendiger Filteranlagen oft mit Schadstoffen belastet, beispielsweise mit Schwermetallen wie Blei und Kadmium oder mit Nitrat. Schließlich der Boden: Auch er wird in verschiedenster Weise malträtiert, nicht zuletzt durch die gerade besprochenen Verschmutzungen von Fluß- und Regenwasser. Außerdem sikkert aus Müll- und erst recht aus Sondermülldeponien immer mehr Gift in das Erdreich. Hinzu kommt die Erosion und Versteppung des Bodens durch Abholzung, Brandrohdung und Raubbau von Bodenschätzen. Die Anbauflächen und Äcker sind meist durch Monokulturen ausgelaugt, überdüngt und mit Schädlingsbekämpfungsmitteln verseucht. Es ist schon gravierend, daß die Teilbereiche der Natur wie die Pflanzen oder das Wasser jeder für sich so belastet sind. Aber die Situation wird dadurch noch bedrohlicher, daß die Natur ein System darstellt, ein Bio- oder Ökosystem, in dem die Teilsystemevoneinander abhängig sind und aufeinander Einfluß haben. Wenn zum Beispiel die Luft verschmutzt ist, dann betrifft das eben nicht nur die Luft selbst, sondern auch das Wasser, den Boden, die Pflanzen und Tiere. Gerade die sogenannten Kreisläufe in der Natur sorgen dafür, daß die Giftstoffe von einem Untersystem ins andere transportiert werden.
Kranke Umwelt, kranker Mensch?
Diese Erkrankung der Natur ist für den Menschen in mehrfacher Hinsicht von Relevanz. Zunächst kann es sein, daß ihm die Natur selbst leid tut, vor allem die leidenden Pflanzen und Tiere: Wildtiere, die in einer veränderten Umwelt keine Nahrung mehr finden, ölverschmierte Seevögel, dem Tod geweiht, Robben die an einer Umweltkrankheit dahinsterben, oder Hasen und Igel, die zu Tausenden von Autos und LKWs plattgefahren werden. Aber der Mensch ist auch direkt betroffen. Denn trotz Technik und Zivilisation umgibt ihn noch immer Natur. Und es mißfällt ihm, wenn diese natürliche Umwelt immer unansehnlicher undabstoßender wird: häßliche, halbkahle Wälder; trübe, stinkende Seen; diesiger, grauer Himmel, mit Auspuffgasen geschwängerte Luft; nicht zu vergessen die akustische Belästigung durch Lärm. Doch es bleibt nicht bei diesen mehr ästhetischen Belastungen, bei psychischen Reaktionen wie Unbehagen, Betroffenheit oder Schuldgefühlen: Das Siechtum der Natur bedroht auch unmittelbar die Gesundheit des Menschen. Denn er lebt - selbst in den Industriestaaten - noch heute weitgehend von der Natur bzw. von Naturprodukten: Er atmet die Luft, er trinkt das Wasser, kocht darin seine Nahrung oder wäscht sich damit. Er ißt Pflanzen wie Getreide, Obst oder Gemüse und ernährt sich von tierischen Produkten wie Fleisch, Milch und Eiern. Wenn all dieses mit Schadstoffen belastet ist, so wird auch der Mensch damit belastet. Und dem ist ja schon längst so: Ausscheidungsorgane wie die Nieren und das Entgiftungsorgan Leber sind überfordert, das Immunsystem, Haut und Schleimhäute werden durch die verschiedenen Fremd- und Reizstoffe arg strapaziert. Bei einer Vielzahl von Erkrankungen gilt die Umweltverschmutzung als Ursache oder jedenfalls Teilursache; zum Beispiel ist der Zusammenhang von Luftverschmutzung und Erkrankungen der Atmungsorgane, bis zum Lungenkrebs, erwiesen, ebenso der Zusammenhang zwischen Hautkrebs und vermehrter UV-Strahlung infolge des Ozonlochs. Diese Gesundheitsgefahren versetzen die Menschen in Angst. Und sie befürchten, daß es noch schlimmer werden wird: daß eines Tages vielleicht keine Luft zum Atmen mehr da ist und daß das Wasser ungenießbar geworden ist, daß eine lebensgefährliche radioaktive Verseuchung entsteht, daß es überhaupt zu einem "ökologischen Holocaust" kommen könnte, zu einem Zusammenbruch des ÖkosystemsNatur, mit verheerenden Folgen für die Gesundheit und das Leben der Menschen. Wahr ist an diesen Befürchtungen: Mit der Natur geht es steil und rapide bergab. Es steht sogar noch schlimmer um sie, als die meisten Menschen ahnen. Sie ist nicht nur schwer krank, sondern sie stirbt, sie befindet sich in einem Sterbeprozeß, der nicht mehr aufgehalten werden kann. Und genau das ist meine erste Hauptthese: Die Natur ist nicht mehr zu retten.
Warum die Natur nicht gerettet werden kann
Die Natur, so wie wir sie heute kennen, wird untergehen. Die unglaubliche Vielfalt an Tierarten und Tierrassen, an Pflanzen wie Blumen, Bäumen, Gräsern oder Nahrungspflanzen wie Obst und Gemüse, wird drastisch zurückgehen. Die großen Wälder, Wiesen und Äcker werden schwinden, ebenso die Tierherden oder Viehzuchtbetriebe. Wer will daran glauben, daß sich trotz der Flutwelle von Umweltschädigungen eine intakte Natur erhalten ließe? Nein, zu kraß, zu tief, zu umfassend sind die Verletzungen: vom Waldsterben bis zur Luftverpestung, von der Wasserverseuchung bis zur Bodenvergiftung, vom Ozonloch dort oben bis zum Ozonsmog hier unten. Ohne Zweifel ist dieser Sterbeprozeß der Natur vor allem vom Menschen ausgelöst worden, er hat sie auf dem Gewissen. Durch Einsatz giftiger Substanzen, durch Raubbau, durch gezielte Vernichtungwie Rodung oder Jagd, durch einseitige Pflanzung oder Zucht hat er das natürliche Gleichgewicht gestört, fast schon zerstört. Aber auch wenn der Mensch der Hauptverursacher des Natursterbens ist, heißt das doch nicht, daß er diesen Prozeß noch stoppen könnte. Es ist nicht mehr 5 vor 12, sondern 12 Uhr ist schon vorbei. Wie wenn man eine Lawine ausgelöst hat - sie läßt sich nicht mehr aufhalten. So hat sich auch der Krankheitsprozeß der Natur verselbständigt, setzt sich von allein fort. Diese Auffassung, daß ein Untergang der Natur bevorsteht, wird von verschiedenen Ökologen und Sachbuchautoren geteilt, zum Beispiel: Hoimar von Ditfurth ("So laßt uns denn ein Apfelbäumchen pflanzen"), Theo Löbsack ("Die letzten Jahre der Menschheit"), Herbert Gruhl ("Himmelfahrt ins Nichts"), Gregory Fuller ("DasEnde") und Ulrich Horstmann ("Das Untier"). Allerdings behaupten sie - ganz anders als ich - , daß mit der Natur auch der Mensch untergehen wirdund muß. Im genauen gibt es zwischen den oben genannten Autoren ebenfalls Unterschiede. Die einen gehen von einem endgültigen Exitus der Natur und mit ihr der Menschheit aus. Andere meinen, daß die Natur auf lange Sicht doch überleben wird und nur der Mensch zum Tode verurteilt ist. Sie begründen das folgendermaßen: Der Mensch gräbt sich - durch Verseuchung der Natur als seiner Lebensbasis - das eigene Grab. Wenn die Menschheit aber ausgestorben ist, dann kann sich die todkranke Natur wieder erholen und regenerieren. Die meisten Fachleute spekulieren jedoch, daß der Mensch den drohenden Untergang der Natur und damit seiner selbst vielleicht noch stoppen könnte, wenn er sofort radikalste Maßnahmen des Umweltschutzes ergreifen würde. Rudolf Bahro hat sogar einen "ökologischen Fürsten" gefordert, der mit diktatorischen Maßnahmen der Umweltzerstörung Einhalt gebieten sollte. Einmal abgesehen von der Fragwürdigkeit einer Öko-Diktatur, nach realistischer Auffassung ist die uns vertraute Natur nicht mehr zu retten. Allenfalls ließe sich die Geschwindigkeit des Siechtums verringern. Aber diese Frage bleibt sowieso hypothetisch, denn es ist offensichtlich: Der Mensch wird keine drastischen Schritte zum Schutz der Natur unternehmen. Schon seit Jahren wissen wir im Grunde: Wenn wir die Natur erhalten wollen ,müssen sofort extreme Schutzmaßnahmen durchgezogen werden. Tausende von Funk-und Fernsehsendungen, Zeitschriftenartikel und Bücher berichteten weltweit über die Umweltgefahren - besonders bekannt: 1962 alarmierte die Biologin Rachel Carson die Öffentlichkeit mit ihrem Bestseller "Silent Spring"(deutsch "Der stumme Frühling"), 1972 warnte der Club of Rome vor den"Grenzen des Wachstums", 1980 erschien "Global 2000", der erschreckende Umweltreport im Auftrag des amerikanischen Präsidenten Jimmy Carter. Und mit großer Eindringlichkeit hat 1985 Hoimar von Ditfurth noch einmal klargemacht, daß wir auf einen "Weltuntergang" zusteuern. In Bezug auf das berühmte Wort von Martin Luther "Und wenn ich wüßte, daß morgen die Welt unterginge, so würde ich doch heute mein Apfelbäumchen pflanzen", betitelte er sein Buch: "So laßt uns denn ein Apfelbäumchenpflanzen - es ist soweit." Dennoch änderte sich kaum etwas an unserem allzu laschen Umweltverhalten bzw. unserer schmalspurigen Ökopolitik. Aber was ist mit der Umweltbewegung, mit Umweltorganisationen wie Greenpeaceund mit der Partei Bündnis 90/Die Grünen? Zeigt sich hier nicht eine breite Strömung für ein Naturengagement, die erheblichen Einfluß auf die Politik ausüben kann? Wohl kaum. Die breite Mehrheit - der Main Stream - ist nachwie vor nicht zu wirklich schmerzhaften Verhaltensänderungen zugunsten der Umwelt bereit. Und die Mehrheit wählt eben auch nicht grün. Selbst wenn die Grünen (in Deutschland!) einmal 15 % erreichen mögen, bleiben sie damit eine Minderheitenpartei. Man vergißt dies nur manchmal, weil sie sich ständig so lauthals zu Wort melden. Unsere Gesellschaft hat sich bisher immer nur zu halbherzigen Maßnahmen durchgerungen. Um ein Wort zu benutzen, das durch die Deutsche Bank Berühmtheit erlangt hat: "peanuts". Alle bisherigen Umweltschutz-Maßnahmen waren letztlich peanuts. Und wenn doch einmal ein konsequentes Gesetz verabschiedet wurde, höhlte man es durch zig Ausnahmegenehmigungen wieder aus. Dabei ist Deutschland sogar ein Vorreiter in Sachen Umweltschutz, der oft genug von den EG-Partnern gebremst wurde, zum Beispiel beim Termin für ein Verbot von FCKWs. Jedoch, wenn es um Autos ging, zeigten sich die Deutschen als "Umweltmuffel". Wir haben als einziges Landin Europa keine (durchgängige) Geschwindigkeitsbegrenzung auf den Autobahnen. Und als die deutschen Wagen, die nach den USA exportiert wurden, schon sämtlich einen Katalysator besaßen, wurden sie bei uns noch massenweise ohne Kat verkauft. Allerdings forderte der deutsche Autofahrer auch nicht gerade lautstark Kat-Autos, im Gegenteil, die ersten Modelle ließ er auf der Halde stehen und griff lieber zu den preisgünstigen Kat-losen. Die Regierenden und die Bürger haben sich gegenseitig nichts vorzuwerfen. Beide Seiten sind nicht zu einem echten Umweltschutz bereit. Als Beispiel die Ozonverordnung,die am 14. Juli 1995 im Bundestag verabschiedet wurde. Ein durch Ausnahmegenehmigungen durchlöchertes Gesetz, das keine Geschwindigkeitsbegrenzung vorschreibt, sondern nur ein Fahrverbot für Autos ohne Katalysator, und zwar ab einem Wert von 240 Mikrogramm Ozon pro Kubikmeter Luft. Dies ist ein unrealistisch hoher Wert, wie er bisher kaum erreicht wird. Genauso gut könnte man sagen: Ja, wir erlassen eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen. Niemand darf schneller als 300 Stundenkilometer fahren... Nun könnten die Bürger aber trotzdem langsamer fahren, aus purer Naturliebe. Aber das ist nicht. Untersuchungen haben gezeigt: Die Empfehlungen in einigen Bundesländern, bei Ozonsmog doch bitteschön langsamer zu fahren, wurden kaum eingehalten. Was nicht verboten ist, ist eben erlaubt. Und das nutzt der "freie Bürger" dann auch. Freie Fahrt - sprich Bleifuß. Man mag einwenden, der Nutzen von Temporeduzierungen für die Ozonverminderung sei eben auch nicht erwiesen. Aber das ist eins der typischen heuchlerischen Argumente in Umweltfragen. Denn daß eine Drosselung der Geschwindigkeit generell (vom Ozon ganz abgesehen) für die Natur und insbesondere für den Wald von Vorteil wäre, ist doch unbestritten. Aber fahren Sie versuchsweise mal das empfohlene Tempo 100 auf der Autobahn. Wieviele Autos überholen Sie dann? Richtig, fast 100 Prozent.
Brent Spar - Sieg der Ökologie?
Und was ist mit dem Protest gegen die Versenkung der Ölbohrinsel "Brent Spar" im Juni 1995, als vor allem der Boykott der deutschen Autofahrer den Ölmulti Shell in die Knie und zum Nachgeben zwang? War das nicht ökologisches Musterverhalten von uns Deutschen? Von wegen. Man mußte ja auf nichts verzichten. Man fuhr einfach eine Tankstelle weiter (wieviel zusätzliche Fahrerei!), tankte bei Aral oder Esso, das übrigens genauso wie Shell für die geplante Versenkung verantwortlich zeichnete. Da waren wir dann voll Freude über unser eigenes Saubermannverhalten, und voll Schadenfreude, daß der arrogante Großkonzern und sogar der sture britische Premierminister Major eins auf die Nase bekommen hatten. Und trotz allem stimmt es, daß wir Deutschen in Europa und vielleicht sogar weltweit die Vorreiter in Sachen Umweltschutz sind (bzw. waren). In England und Frankreich zum Beispiel gilt die grüne Bewegung nach wie vor als exotisch, ist ungefähr so populär wie das Essen mit Stäbchen. Die Amerikaner haben zwar strengere Auflagen, was Autos angeht, aber in anderen Bereichen sind sie höchst zurückhaltend, zum Beispiel bei der Drosselung von Industrieemissionen zur Luftreinhaltung. So blockierten sie auf der UN-Umwelt-Konferenz in Rio 1992 genaue Zielsetzungen und Zeitpläne für eine Begrenzung des Kohlenstoffausstoßes. Überhaupt verbrauchen sie nach wie vor die meiste Energie auf der ganzen Erde, nicht nur absolut, sondern auch relativ pro Kopf der Bevölkerung. Wenn nicht andere, unterentwickelte Länder einen viel geringen Energieverbrauch hätten, wodurch sich global gesehen ein gewisser Ausgleich ergibt, wäre die Natursituation bereits viel schlimmer. Allerdings verweigern solche Entwicklungsländer ihrerseits Umweltschutzmaßnahmen, beispielsweise holzen sie die Regenwälder, die große Bedeutung für das Gesamtklima der Erde besitzen, radikal ab. Nur handeln diese Staaten bzw. die Menschen in diesen Staaten aus Not, ihre Armut zwingt sie dazu. All dies läßt nur eine Prognose zu: Der Mensch wird auch zukünftig keine Kehrtwende in der Umweltpolitik machen. Und die Natur wird immer weiter dezimiert werden oder sich von selbst "zurückziehen". Das geschieht nicht von heute auf morgen, es ist ein allmählicher Prozeß. Insofern läßt sichauch kein eindeutiges Todesdatum angeben. Das Natursterben kann noch fünfzig Jahre andauern, noch zwanzig - oder aber auch nur einige Jahre. Denn es ist nicht auszuschließen, daß plötzlich, sprunghaft und unerwartet ein Kollaps der Gesamtnatur auftritt. Wir sollten uns von der Heuchelei verabschieden, wir wären doch bereit, (fast) alles dafür zu tun, damit die Natur überlebt. Wir sind es nicht, weder die "da oben", noch wir "daunten", nirgendwo und nirgendwann. Insgeheim ahnen wohl auch die meisten von uns, daß es mit der Natur zu Ende geht, aber die wenigsten wollen das wahrhaben. Diese Verdrängung können wir uns aber nicht mehr leisten. Wenn die Natur vergeht, dann überlebt der Mensch nur, insofern er eine neue Lebensbasis findet. Sonst geht er mit der Natur unter. Da wir zu einem radikalen Naturschutz nicht gewillt sind, müssen wir - obgleich das zunächst paradox klingt - eine Kehrtwendung und damit Abwendung von der Natur vollziehen, um alle unsere Kraft in ein neues hochtechnologisches Lebensfundament zu investieren. Der bisherige lasche Umweltschutz hilft uns gar nicht weiter, er ist ein fauler ,ja gefährlicher Kompromiß, weil wir so unsere alte Lebensgrundlage zerstören, ohne eine neue zu schaffen.
Besser leben ohne Natur ?
Ich will nicht versuchen, den Niedergang der Natur (und seine Geschwindigkeit) durch weitere Argumente oder gar Statistiken zubeweisen, aus folgenden Gründen: Erstens haben bereits eine Vielzahl von Wissenschaftlern und Sachbuchautoren genaue Belege hierfür vorgelegt, etwa Herbert Gruhl mit verschiedenen Büchern (wie "Ein Planet wirdgeplündert"). Die "schweigende Mehrheit" hat ihnen trotzdem nicht geglaubt bzw. nicht glauben wollen. Zweitens ist ein strenger Beweis des Natursterbens im Sinne einer mathematischen Ableitung doch nicht möglich. Auch anspruchsvolle Computerprogramme wie die des Club of Rome können die Zukunft nicht mit Sicherheit vorhersagen. Drittens, und das ist am wichtigsten, ist nicht mein zentrales Anliegen zu zeigen, daß wir die Natur nicht erhalten können, sondern, daß wir es auch gar nicht versuchen sollen. Wenn die erste Hauptthese lautete: Die Natur kann nicht gerettet werden, so möchte ich meine zweite Hauptthese wie folgt zuspitzen: Die Natur soll nicht gerettet werden. Denn im Gegensatz zur allgemeinverbreiteten Meinung ist meine Überzeugung, daß der - zukünftige - Mensch ohne Natur (oder mit wenig Natur) nicht nur überleben, sondern sogar besser leben kann. Der Untergang der Natur bedeutet keineswegs automatisch den Untergang der Menschheit. Er bietet uns sogar die Chance für einen evolutionären Aufschwung, für eine Höher- und Weiterentwicklung ungeahnten Ausmaßes. Aus diesem dritten Punkt folgt: Selbst,wenn es doch eine Möglichkeit geben sollte, die Natur zu erhalten, wäre diese Rettung ein Fehler, weil damit an einem alten, überholten Zustand festgehalten würde, anstatt sich für eine neue Entwicklung zu öffnen. Nach meiner Auffassung ist also der Natur- und Umweltschutz ein Irrweg, wir müssen uns vielmehr von der Natur verabschieden. Das erfordert eine neue, andere Lebensbasis zu schaffen. Diese Basis kann nur die Technik sein, aber eine enorm gesteigerte, verbesserte, verfeinerte, perfektionierte Technik, Technik einer neuen Qualität, einer neuen Generation. Man mag sie "Mega-Technik"nennen oder "Supra-Technik", "Ultra-Technik" oder einfach "High-Tech". Wie auch immer, wir benötigen dafür eine technologische Revolution. Vor allem, um "lebende Technik", lebende technische Systeme, Live Tech zu produzieren. Ich will also eine Umkehr vorschlagen, eine Wende: die endgültige Abwendung von der Natur und die unbedingte Hinwendung zur Technik. Dieser Weg erfordert ein neues Bewußtsein und neues Handeln, was vor allem folgende zwei Komponenten beinhaltet: Erstens müssen wir uns die Schattenseiten der Natur (wieder) bewußt machen. Wir müssen erkennen, welche Nachteile die Natur uns Menschen bringt, und daß sie unserem heutigen Entwicklungsstand nicht mehr angemessen ist. Wir haben also die naive Idealisierung alles Natürlichen zu überwinden. Zweitens müssen wir unsere Vorstellungvon Technik ändern. Technik sollte nicht mehr als etwas Fremdes oder sogar Feindliches angesehen werden, eine andere Welt, die in unser vertrautes Leben dringt, sondern als die zukünftige Heimat des Menschen, wenn man so will als neue "Natur" des Menschen selbst. Damit komme ich zu meiner dritten Hauptthese: Die Technik ist unsere Rettung: Oder anders: Die Technik muß unser Leben werden. Dafür ist es erforderlich, alle Kräfte zu bündeln, nicht auf das sinnlose Unterfangen einer Naturbewahrung, sondern auf eine Beschleunigung der technologischen Evolution, die dem Menschen nicht nur zu überleben erlaubt, sondern ihn zum Schöpfer seiner eigenen Welt erhebt, ja zum Schöpfer seiner selbst. Ehe wir jedoch zur neuen Technik kommen, werden wir uns mit der alten Natur und ihren Schattenseitenbeschäftigen.
Auslaufmodell Natur - Veraltet und häßlich
Bei der gängigen Naturverklärung wird mehr und mehr ausgeklammert, wie die Natur wirklich ist. Sie wird nur als gute Mutter beschrieben, die ihren Menschensohn nährt und schützt,was der ihr aber nicht danke; denn er mißhandele sie, raube ihre Schätze und überschütte sie mit chemischem Gift. Bei dieser Sicht geraten die häßlichen, bösen und giftigen Seiten der Natur völlig aus dem Blick. Sprechen wir zunächst von der Vergangenheit, davon, wie die Menschen früher "natürlich" lebten (für die sogenannten "Naturvölker" ist dies allerdings bis heute ihre Gegenwart). Auch wenn wir Bewohner von Industriestaaten noch viel mit der Natur zu schaffen haben - viel mehr, als uns oft klar ist - , so ist dies nicht mit den Verhältnissen in früheren Zeiten zu vergleichen. Damals existierten die Menschen wirklich im engsten Kontakt mit den Naturgewalten. Sie lebten zwar von der Natur, aber auch gegen sie. Einerseits gab Mutter Natur ihnen Nahrung und Kleidung, aber andererseits mußten sie ihr Leben ständig gegen die "böse Stiefmutter" Natur verteidigen. Sie mußten sich gegen Hitze und Kälte, Regen und Sturm behaupten; und vor allem mußten sie sich der Angriffe wilder Tiere erwehren. Auch wurde ihnen die Nahrung keineswegs geschenkt. Es war kein Schlaraffenland, wo einem die gebratenen Tauben in den Mund fliegen oder wo Milch und Honig fließen, sondern die meisten Völker hatten der Natur ihre Nahrung abzutrotzen, ernteten mühselig angebaute Nahrungspflanzen oder jagten und fischten, oft unter Einsatz des eigenen Lebens. Und dies ist das "Grundgesetz der Natur": jagen oder gejagt werden, töten oder getötet werden, fressen oder gefressen werden. "Natürliches" Leben bedeutet permanente Gefahr, Wechsel zwischen Flucht und Kampf; es ist wie im Krieg, nein es ist Krieg. Zwar gibt es auch Kooperation und Symbiose, aber sie sind dem Kampf ums Überleben völlig untergeordnet. Es herrscht das Faustrecht (vielleicht sollte man hier besser "Pfotenrecht" sagen), das Recht des Stärkeren. Der Schwächere hat sich zu ducken, sonst wird er verjagt oder gemordet. Das Zusammenleben in der Natur ist somit gerade das Gegenteil einer demokratischen Ordnung, in der prinzipiell alle Mitglieder gleichberechtigt sind. Das ständige Sich-Wehren-Müssen gegen Naturgewalten oder gegen andere Lebewesen, nicht zu vergessen Krankheitserreger wie Bakterien und Viren, macht verständlich, warum die Menschen sich, soweit sie konnten, von dem Naturleben wegentwickelt haben. Und warum Naturvölker, wenn sie mit der Zivilisation in Berührung kommen, fast immer mit großer Bereitwilligkeit und Schnelligkeit deren Errungenschaften übernehmen, seien es materielle Dinge wie Kleidung und Werkzeug, seien es Verhaltensweisen wie eine veränderte Nahrungsaufnahme. Wenn die Naturmenschen mit ihrer Lebensweise wirklich so glücklich wären, wie uns mancher zivilisationsmüder Völkerkundler weismachen will, würden sie sich doch nicht so auf die Zivilisationsgüter stürzen. Wir modernen Menschen der Gegenwart sind zwar auch noch mit der Natur verbunden, haben uns aber andererseits schon ein Stück weit von ihr losgelöst. Das wird heute von vielen als Entfremdung beklagt. Nur schwärmen immer die am meisten von etwas, die es am wenigsten kennen. Menschen, die tatsächlich in und mit der Natur leben, können sich keine sentimentale Naturseligkeit leisten. Sie mußten und müssen sich täglich einer - vielfach feindlichen - Umwelt erwehren, dieser ihr Leben abkämpfen. Anders die Biophilen: Sie begeistern sich über das angeblich so harmonische Zusammenleben der Tiere und Pflanzen, über das ökologische Gleichgewicht, reden nur von Partnerschaft und Symbiose in der "sanften Natur". Für sie ist jeder modrige Tümpel gleich ein Biotop und jedes armselige Stoppelfeld ein Ökosystem. Aber sie meinen eigentlich gar nicht die echte Natur, sondern die romantischen, irrealen Naturbilder in ihren Köpfen. Besonders absurd wirkt es, wenn im Rahmen von modischen Geistesströmungen wie NewAge oder Esoterikwelle die Natur spiritualisiert, als heilig erklärt wird. Jeder Baum ist dann ein Heiligtum, jeder Wald ein Tempel. So wird die Natur selbst "übernatürlich", und der Mensch befindet sich auf dem Rückweg zur Naturreligion. Gern läßt man sich dabei von "Naturweisen" inspirieren, besonders von Indianerhäuptlingen, die, anstatt in der Natur zu leben, von Großstadt zu Großstadt, von Kongreß zuKongreß reisen (wie der inzwischen verstorbene Rolling Thunder), um die Bleichgesichter als Naturfrevler anzuklagen und ihnen ins Gewissen zu reden - vielleicht eine Art Rache für die frühere Eroberung der Indianergebiete durch den weißen Mann.
"Biollusionen"
Trotz aller naturseligen Euphorie und Illusionen,"zurück zur Natur", zurück in ein spartanisches, hartes, entbehrungsreiches Leben, das will kaum jemand. Das wird nur abstrakt gefordert. Konkret fordert man allerdings, Naturvölker bzw. unterentwickelte Völker mit unserer Technikzu verschonen, nicht zuletzt, damit ihre Scheinidylle, ihre pittoreske Armut erhalten bleibt, die wir als Touristen so gerne bestaunen. Nein, echte Aussteiger gibt es wenige.Und es zieht diese Leute auch selten in eine unberührt - gefährliche Umwelt, sondern in liebliche Gegenden, wo die Natur längst gezähmt und kontrolliert ist, nach Südfrankreich oder auf eine griechische Insel. Dort lebt man dann meistens in größeren Gruppen, sogenannten Landkommunen. Aber auch diesen Kommunen ist selten eine lange Dauer beschert, denn sogar in solchen "naturberuhigten" Gegenden ist vielen das Leben - womöglich ohne Strom, Licht, Heizung und warmes Wasser - einfach zu hart. Wenn man schon selbst nicht in die Natur zieht (vom "Häuschen im Grünen" wollen wir hier absehen), so versucht man wenigstens, Natur (oder was man dafür hält) wieder mehr in seine Alltagswelt hineinzuziehen, nach einem Prinzip Natürlichkeit zu leben: vor allem sich natürlich zu ernähren, Naturstoffe zu tragen, Möbel aus Naturholz zu kaufen, nur Kosmetika aus natürlichen, am liebsten pflanzlichen Stoffen zu verwenden, sich im Krankheitsfall mit Naturheilkunde zu behandeln bzw. vom Arzt für Naturheilverfahren oder sogar vom Naturheiler behandeln zu lassen. Viele Menschen glauben, was natürlich sei, das sei auch automatisch gesund, bekömmlich, heilsam. Im Umkehrschluß wird alles "Chemische" als ungesund, schädlich, giftig angesehen. Das ist in vielfacher Weise absurd. In der Natur wimmelt es geradezu von Giftpflanzen und Gifttieren. Auch gefährliche Schwermetalle wie Arsen oder Mineralfasern wie Asbest stammen ursprünglich aus der Natur. Keineswegs ist ein Nahrungsmittel oder Medikament schon deswegen unschädlich, weil es natürlicher Herkunft ist. Ebensowenig muß Chemie immer gesundheitsschädlich sein. Überhaupt werden Naturstoffe heutzutage oft chemisch synthetisiert, zum Beispiel Vitamin C (Ascorbinsäure). Der synthetisierte Stoff ist mit dem natürlichen völlig identisch, es besteht dabei gar kein Unterschied mehr zwischen Naturund Chemie. Auch hat vieles, was als"natürlich" angeboten wird, diese Kennzeichnung gar nicht verdient. Die Verbraucher kaufen gerne Kleidung aus "100% Baumwolle", sie glauben, damit ein reines Naturprodukt zu erwerben. Die Baumwolle wird aber mit einer Vielzahl von Chemikalien, in diesem Fall auch schädlichen, behandelt. Dagegen ist ein Kleidungsstück aus moderner Chemie- oder Kunstfaser wesentlich gesünder, es gibt keine Schadstoffe an den Körper ab.
Die Natur als Katastrophe
Natur kann aber noch viel zerstörerischer sein. Am direktesten wird der Mensch mit ihrer rohen Gewalt durch Naturkatastrophen konfrontiert, wie Überschwemmungen, Wirbelstürme, Erdbeben, Vulkanausbrüche, Lawinen, Dürrezeiten, Waldbrände, Schädlingsplagen und andere mehr. Von ihnen werden auch die Bewohner der Industriestaaten hart getroffen, obwohl normalerweise nicht so kraß wie die Menschen in der Dritten Welt, die weniger Finanzmittel und Technik besitzen, um eine Naturkatastrophe bzw. deren Folgen in den Griff zu bekommen. Zu den größten Killern gehören Erdbeben. Bei einem Beben 1556 inShaanxi/China sollen 830.000 Menschen umgekommen sein. 1737 forderte die bebende Erde in Kalkutta/Indien etwa 300.000 Tote. Auch in unserem Jahrhunderthat es ein so verheerendes Erdbeben gegeben: 1976 in Tangschan/China mit über 655.000 Todesopfern. Besser in Erinnerung ist uns die Erdkatastrophe 1988 inArmenien, bei der 24.000 Menschen starben. Und noch genauer stehen den meisten von uns wohl die (Fernseh-)Bilder vom Januar 1995 vor Augen, als bei einem Beben insgesamt 6308 Bewohner der japanischen Hafenstadt Kobe ihr Leben verloren. Solch riesige Todeszahlen gibt es sonst nur bei Überschwemmungen bzw. Flutkatastrophen. Bei einer Nordsse-Sturmflut 1570 sollen eine Million Menschen zu Tode gekommen sein. In Asien, vor allem in China, treten häufiger katastrophale Überschwemmungen auf: 1887 Huang-He-Überschwemmungen mit etwa 900.000 Toten; 1931 traten der Chang-Jiang und der Huang-He über die Ufer, was mehrere hunderttausend Menschenleben forderte. Bei einer Sturmflut in Bangladesch 1970 waren 200.000 Opfer zu beklagen. Obwohl es so extreme Naturkatastrophenin den letzten Jahren nicht gab, scheint insgesamt die Anzahl von Unwettern, Überschwemmungen und Wirbelstürmen zuzunehmen. Diese Katastrophenzunahme steht für eine allgemeine Entwicklung, die man folgendermaßen formulieren könnte: Die Natur wird immer negativer: ungesünder, häßlicher, nutzloser. Wie schon dargestellt, war die Natur auch früher mehr Feind/in als Freund/in des Menschen, auch als er noch ein natürliches Leben führte. Allerdings besaß die Natur damals ebenfalls positive Seiten: saubere Luft, klares Wasser, fruchtbare Böden, gesunde Wälder, eine intakte Landschaft... Doch heute hat sich das zum Negativen gewandelt. Zwar gibt es immer noch manche "Naturschönheiten": bunte Blumenbeete, blühende Bäume, sprudelnde Bäche, zwitschernde Vögel, goldenen Sonnenschein; und selbst über Großstädten zeigt sich gelegentlich noch ein strahlend blauer Himmel. Aber dies alles bedeutet eine gefährliche Täuschung, denn in Wahrheit ist die Natur todkrank. Und das Kranksein zeigt sich immer krasser auch im Erscheinungsbild einer Rest- und Krüppelnatur; halbkahle Wälder, vergilbte und zerfressene Blätter, häßliche Baumstümpfe, armselige Grünflächen, vertrocknete Blumen, grau-diesiger Himmel, stickige Luft, stinkende, verseuchte Flüsse, überzüchtete Haustiere, kränkelnde Wildtiere, gequälte Masttiere. Ich bestreite nicht, daß diese Verelendung der Natur primär durch Zivilisation und Technik bedingt ist. Aber was nutzen diese Einsicht und Schuldzuweisung? Sie ändern nichts an der Tatsache, daß es schlecht mit der Natur aussieht bzw. daß die Natur schlecht aussieht. Das ist beileibe kein rein ästhetisches Problem, sondern auch ein funktionales. Denn die sieche Natur kann immer weniger die Funktionen erfüllen, die sie bisher für den Menschen so wertvoll machten. So können die kranken Wälder immer weniger ihrer Aufgabe der Luftreinhaltung und Lufterneuerung nachkommen; sie vermögen weniger Staub zu binden und vor allem weniger Kohlendioxid aufzunehmen und entsprechend weniger Sauerstoff zu produzieren. Die Flüsse sind kaum noch ein Garant für sauberes, wohlschmeckendes Trinkwasser. Das gleiche gilt für unsere Nahrungsmittel, die selbst so krank sind, daß man sie besser nicht mehr Lebensmittel nennen sollte. Pflanzen wie Getreide, Gemüse und Obst sind durch die generelle Umweltverschmutzung belastet, ebenso Tiere und damit auch tierische Produkte wie Fleisch oder Milch. Hinzu kommt, daß diese Nahrungsmittel noch mit speziellen Chemikalien wie Schädlingsbekämpfungsmitteln oder Antibiotika behandelt werden. Zwar gelingt es in diesem Bereich, ästhetisch ansprechende, ansehnliche Naturprodukte zu erzeugen, zum Beispiel große Äpfel mit glänzender Schale, ohne Faulstellen; doch an Nahrungs-, Genuß- und Gesundheitswert hat diese "Edelnahrung" wenig zu bieten: die Superäpfel schmecken wäßrig und besitzen kaum Vitamine. Eine erste Bilanz: Die Natur ist schon immer primär ein Ort des Kampfes gewesen, Kampf gegen andere Lebewesen, gegen Hitze und Kälte, Dürre und Unwetter sowie gegen regelrechte Katastrophen. Der Mensch hat gelernt, die Natur - durch Zivilisation und Technik - eines Teils ihrer Schrecken zu berauben, sie ein Stück weit zu beherrschen. Aber in dieser Beherrschung sind ihm bis heute deutliche Grenzen gesetzt, wie vor allem die Naturkatastrophen zeigen. Außerdem entwickelte die Natur unter dem Einfluß von Technik neue Gefahren und büßte zugleich einen Großteil ihrer Schönheit und Nützlichkeit ein.
Die Natur des Menschen - Einfach tierisch
Es gilt, nicht nur die Schattenseiten der äußeren Natur, der Umwelt zu sehen, sondern auch die unserer inneren Natur. Unter "innerer Natur" verstehe ich einerseits den menschlichen Körper, aber auch unsere Wesensart, den Charakter unseres Fühlens, Denkens und Verhaltens. Der Körper des Menschen ist auf den ersten Blick ein hochleistungsfähiges System, dennoch besitzt er viele Mängel, Schwächen und Anfälligkeiten. Wir machen uns das nurso wenig bewußt, weil wir unseren "Body" einfach als gegeben hinnehmen und kaum fragen, wie er anders und besser beschaffen sein könnte. Der größte Mangel des Körpers ist die Anfälligkeit für Erkrankungen. Insgesamt gibt es hunderte verschiedener Krankheiten,die uns befallen können. Und schon von jeher wurde der Mensch von ihnen heimgesucht, auch unsere Vorfahren litten zum Beispiel schon unter Rheuma und Gicht. Es ist also keineswegs so, wie gerne behauptet wird, daß nur und erst der moderne Mensch durch seine unnatürliche Lebensweise solche "modernen" Krankheiten erleidet. Und es hat sich in der Geschichte beim Kontakt von Naturvölkern mit Menschen aus Zivilisationsstaaten immer wieder gezeigt, daß die Naturmenschen selbst "harmlosen" Infekten wie Erkältungen erlagen, weil ihr Immunsystem zu wenig trainiert war, um mit ihm unbekannten Krankheitserregern fertig zu werden. Nicht umsonst hat ja auch die Lebenserwartung bei uns laufend zugenommen, etwa auf das doppelte der früheren "natürlichen" Lebensdauer. Denn durch Fortschritte der Medizin unddie größere Hygiene konnten viele der alten Krankheiten besiegt werden, vor allem Infektionen wie Pest und Pocken. Andererseits konnte und kann die Medizin bis heute längst nicht alle Erkrankungen heilen, das reicht vom banalen Schnupfen (der allerdings von selbst heilt) bis hin zum Krebs, der trotz gewaltigen Forschungsaufwandes noch immer weitgehend unbeherrscht ist. Außerdem treten neue Krankheitenverstärkt auf, etwa Herz-Kreislauf-Störungen oder Immunstörungen wie Allergien, Autoaggressionskrankheiten oder Aids. Diese Erkrankungen werden ohne Zweifel durch unser zivilisiertes Leben in einer industriell belasteten Umwelt begünstigt oder sogar verursacht; man spricht deshalb von Zivilisationskrankheiten. Nur kann man das von zwei Seiten betrachten: Normalerweise erklärt man diese Krankheiten eben damit, daß unsere Lebensweise zu ungesund und unsere Umwelt zu giftig sei. Wir können es aber auch von der anderen Seite sehen, nämlich daß unser Körper zu anfällig ist, daß er sich zu wenig an die heutige Umwelt angepaßt hat und seine Flexibilität, sich auf neue Umstände einzustellen, nicht ausreicht. Mit einem Wort: Unser Körper ist ein "Bio-Trabbi". Man spricht aber auch von der Natur des Menschen, wenn man seine seelische Natur meint. Darunter versteht man ganz allgemein sein wahres Wesen, seinen typischen Charakter. "Seelennatur" kann aber auch spezifisch bedeuten: diejenigen psychischen Eigenschaften, die der Mensch von der Natur mitbekommem hat, die er mit anderen Lebewesen, vor allem hochentwickelten Primaten teilt. (Es wird später noch zu fragen sein, ob die wirkliche Natur des Menschen nicht gerade durch kulturelle Eigenschaften bestimmt ist, also "unnatürliche" Verhaltensweisen, die den Menschen vom Tier unterscheiden.) Wie auch immer man die innere Menschennaturgenau bestimmt, es steht nicht gut um sie. Sie befindet sich ebenso in einer Krise wie die äußere Natur. Von daher spricht man auch von Innenweltverschmutzung parallel zur Umweltverschmutzung. Viele Menschen sind heute unzufrieden mit sich und ihrem Leben, sie fühlen eine Leere, ein Sinndefizit. Gesteigerte Angst und Aggressivität sind weit verbreitet. Auch die Zahl echter psychischer und geistiger Erkrankungen wie Depression oder Schizophrenie ist hoch. Außerdem nehmen Gewalttaten zu, seien es Affekthandlungen infolge von Unbeherrschtheit oder seien es geplante, mit krimineller Energie begangene Verbrechen. Diese Störungen sind nicht auf individuelle Menschen begrenzt, sondern ganze Sozialsysteme zeigen ein gestörtes, "krankes" Verhalten. Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus im Osten, nach dem Wegfall der Konfrontation zwischen Ostblock und westlichen Ländern hatte man eine stabilere und friedlichere Welt erwartet. Aber das Gegenteil ist eingetreten. Durch ausgeprägten Nationalismus und Separatismus sind eine Vielzahl neuer Krisenherde und Kriege enstanden, allen voran der Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien, der allerdings 1995( vorläufig?) beendet wurde. Zwar sind solche "Kleinkriege" noch lokal begrenzt, aber es besteht die Gefahr einer Ausbreitung. Gerade der Krieg in Bosnien mit seinen Foltern, Vergewaltigungen und anderen Greueltaten hat die Frage nach der Natur des Menschen nochmals radikal aufgeworfen.
Ist der Mensch im Innersten brutal?
Auf diese Frage hat es im Laufe der Geschichte vor allem zwei Antworten gegeben bzw. zwei Richtungen. Die eine meint, der Mensch sei von Natur aus gut, friedlich und im seelischen Gleichgewicht. Nur die Umstände, die Gesellschaft machten ihn zu einem unzufriedenen und bösartigen Wesen. Dabei wird in letzter Zeit vor allem auch auf das "unnatürliche" Leben und die Umweltzerstörungen als Ursache hingewiesen. Auf den Punkt gebracht: Die Entfremdung von der Natur inunserem Leben hat auch die positive innere Natur geschwächt oder fast zum Verstummen gebracht. Die Vertreter der anderen Richtung behaupten, der Mensch sei von Natur her schlecht, aggressiv, von inneren Konflikten und Kämpfen gespalten - entsprechend zur negativen äußeren Natur. Zum Beispiel wird auf einen Aggressionstrieb oder sogar Todestrieb verwiesen, der den Menschen zu zerstörerischen Handlungen antreibe. Nach dieser Auffassung ist es erst die Gesellschaft, die uns zu (halbwegs) verträglichen sozialen Wesen macht. Durch Erziehung, Sozialisation, "Zivilisation", gegebenenfalls auch durch Bestrafung, überwinden wir den ungehobelten Naturzustand und lernen ein "zivilisiertes" Verhalten. Beide Auffassungen sind aber zu kritisieren: Es ist offensichtlich falsch zu behaupten, erst die Zivilisation und die durch sie bedingte Umweltverschmutzung hätten den Menschen so gereizt und aggressiv gemacht. Gewalt zwischen einzelnen Menschen und kriegerische Auseinandersetzungen zwischen Gruppen hat es immer gegeben, solange es den Menschen gibt; alle Zeugnisse der Vergangenheit wie alte Schriften beweisen das. Daß die Kämpfe früher nicht so verheerend waren wie heute, liegt daran, daß unsere Vorfahren noch nicht so viele und hochentwickelte Waffen besaßen. Hätten sie über moderne Waffen verfügt, hätten sie die bestimmt auch eingesetzt - der Mensch hat bisher noch immer seine besten Kampfgeräte eingesetzt. Außerdemhaben die Menschen früher ebenfalls die Natur ausgebeutet. Stefan Heiland belegt in seinem Buch"Naturverständnis", "daß zu alten Zeiten und unabhängig vom jeweiligen philosophischen Naturverständnis der beherrschende Aspekt des Mensch-Natur-Verhältnisses Nützlichkeits- überlegungen waren". Und weiter: "Ein von vornherein rücksichts- und ehrfurchtsvoller Umgang früherer Gesellschaften mit der Natur war also nicht gegeben, schon gar nicht um der Natur selbst willen." Daß unsere Altvordern die Umwelt nicht so kraß wie heute geschädigt haben, lag kaum an einer besonderen Harmonie mit der Natur, sondern daran, daß sie viel weniger Menschen waren und noch nicht unsere heutigen technischen Möglichkeiten besaßen. Es läßt sich aber auch nicht pauschal behaupten, der Mensch sei durch Zivilisation und Kultur insgesamt zufriedener und friedlicher geworden. In einigen Lebensbereichen geht es bei uns zwar "kultivierter" zu als bei Naturvölkern, aber grundsätzlich hat sich die menschliche Natur kaum verändert. Sie ist in etwa die gleiche wie vor 120.000 Jahren, denn so lange hat der Mensch biologisch, von seiner Erbmasseher, keine wesentliche Entwicklung mehr gemacht. Eigentlich sind wir Steinzeitmenschen im Anzug oder Kostüm. Zwar hat das moderne Leben uns von vielen Belastungen befreit, aber es führt zu einer neuen Form von Streß, auf die wir genetisch nicht vorbereitet sind: Hektik, Überfüllung, Lärm und künstliches Licht bewirken eine Reizüberflutung, wobei die so entstehenden Emotionen und Aggressionen sich noch stauen, weil sie infolge unserer Bewegungsarmut nicht körperlich abgearbeitet und abreagiert werden. Halten wir fest: Der Mensch war zu allen Zeiten ein aggressionsbereites Wesen, in der alten "Naturzeit"wie in der neuen, industriellen Zeit. Selbstverständlich besaß und besitzt er auch friedliche, kooperative Seiten, aber die konnten niemals seine Kampfbereitschaft überwinden, denn diese ist eine wesentliche Komponente seiner biologischen Programmierung. Sie ist ein Erbteil der Natur, eine Eigenschaft, die er von seinen tierischen Vorfahrenübernommen hat, wobei der Grad sicherlich von Individuum zu Individuum differiert und es auch Geschlechtsunterschiede gibt, da nämlich die Aggressivität bei Männern im Durchschnitt stärker ausgeprägt ist als bei Frauen. Ich möchte hier davon absehen, eine simple Bewertung vorzunehmen, in der Art aggressiv = schlecht und friedlich = gut. Man muß diese Eigenschaften im Systemzusammenhang und in Relation zum Umfeld sehen. Solange der Mensch in die Natur eingeschlossen lebte, war seine Kampfwilligkeit weitgehend angemessen, um sich im natürlichen (Über-)Lebenskampf durchzusetzen. Seine innere Natur paßte zur äußeren Natur. Er mußte hart sein, weil sein Leben hart war. Nur heute, wo wir weniger in der Natur und mehr in einer technischen Welt leben, ist dieses hohe Aggressionspotentialkaum mehr zweckmäßig, vielmehr gefährlich. In der Zivilisation ist weit weniger körperlicher Kampfeinsatz notwendig. Sicherlich, auch hier braucht man eine gewisse Aggressivität im Sinne von Selbstbehauptung, um sich gegen widrige Umstände oder Gegenspieler durchzusetzen. Aber die Kämpfe könnten und sollten überwiegend geistig, durch das Wort geführt werden. Doch faktisch werden die anachronistischen Körperkampfprogramme durch Reizüber- lastung und Bewegungsmangel besonders aktiviert, wobei sich ihre Auswirkungen durch die modernen Waffen vervielfachen. Es geht bei unserem biologischen Erbe aber nicht nur um Aggression, es geht vor allem auch um Irrationalität, Verdrängung, Inkonsequenz. Dafür können wir als passenstes Beispiel das Verhalten gegenüber dem Natursterben nehmen. Ich möchte hier vier hauptsächliche Reaktionen unterscheiden:
1. Verdrängung oder Bagatellisierung
Die Mehrheit der Menschen bei uns verdrängt die ökologische Gefährdung noch immer oder bagatellisiert sie: Es sei alles halb so schlimm, man dürfe keine "Umwelthysterie" betreiben, die Natur werde sich schon wieder erholen. Und so lebt und wirtschaftet man weiter wie bisher, macht nur halbherzige Versuche zur Lösung des Umweltproblems und verschließt die Augen vor den zunehmenden Alarmzeichen. Besonders ausgeprägt findet sich diese Haltung bei Politikern, diesen Berufsoptimisten, die sich selbst und uns weismachen wollen, sie hätten alles im Griff. Wenn man die Umweltrisiken verdrängt, tut man gar nichts oder wenig dagegen und versäumt ebenfalls den Aufbau einernatur alternativen Technik. Die Probleme werden einem irgendwann über den Kopf wachsen und sich nicht mehr verdrängen lassen. Doch dann wird es für jede Lösung zu spät sein. Realistisch an diesem Verhalten ist immerhin, daß die Bedeutung der Natur für den Menschen nicht überschätzt, sondern relativiert wird.
2.Flucht in den Konsum
Viele Menschen glauben aber auch, daß der Umweltkollaps irgendwann kommen wird, daß wir ihn wohl nicht auf Dauer verhindern können. Sie leben deshalb so weit wie möglich in der Gegenwart, stürzen sich auf jedes Vergnügen, konsumieren auf Teufel komm raus. Nur das Hier-und-Jetzt zählt für sie, denn schon bald könne alles vorbei sein. Logischerweise hat diese Gruppe wenig Interesse an Umweltschutz, sie bezweifelt seinen Erfolg. Aber sie engagiert sich auch kaum für die Entwicklung technischer Lösungen. "Leben heute!", das könnte man ihr Motto nennen. Vor allem Jugendliche und sogenannte Yuppies vertreten diese Position. So ist es am bequemsten: Man genießt das Leben einfach, solange es noch geht. Und dann? "Nach uns die Sintflut!" Das ist eine reichlich verantwortungslose Haltung, vor allem kommenden Generationen gegenüber (insofern es solche Generationen noch geben wird; denn falls alle Menschen derart egozentrisch nur um ihre momentane Befriedigung kreisten, dürfte die Katastrophe nicht zu verhindern sein). Und wenn die Konsumisten Pech haben, dann kommt diese Katastrophe noch zu ihren Lebzeiten. Positiv läßt sich einem solchen Standpunkt allenfalls abgewinnen, daß er uns davor warnt, nur für morgen zu leben, nur in der Hoffnung auf eine - letztlich ungewisse - Zukunft, und dabei das heutige Leben zu vernachlässigen.
3.Resignation
Diese Gruppe teilt mit der eben beschriebenen die Auffassung, daß die Natur und mit ihr der Mensch auf längere Sicht kaum eine Chance haben. Nur verzweifelt sie an dieser Aussicht. Sie besitzt nicht die Kraft oder den Willen, die verbleibende Zeit noch auszukosten, sondern lebt wie gelähmt, in ständiger Angst oder Resignation. Man starrt auf das drohende Ende wie das Kaninchen auf die Schlange. Wir finden diese Krisenreaktion bevorzugt bei älteren Personen, aber auch bei jungen Leuten mit der "Null-Bock"-Mentalität. Angst und Depression angesichts der bedrohlichen Umweltentwicklung sind zwar eine verständliche Reaktion. Aber wie man sagt: Angst ist ein schlechter Ratgeber. Man verhält sich passiv oder panisch, und beides fördert keine sinnvolle Problemlösung. Positiver ist danoch die der Resignation benachbarte Gelassenheit, ein umfassendes Einverstandensein mit allem, was geschieht, ohne Depressivität oder Verbitterung. Aber auch eine solche Geisteshaltung, die gerne als weise charakterisiert wird, beinhaltet ein Nicht-Handeln. Und so läßt sich die Um/Welt nun einmal nicht verändern.
4.Engagement zur Rettung der Natur
Es gibt aber auch eine nicht unbeträchtliche und wachsende Anzahl von Menschen, die sich dafür einsetzen, die natürliche Umwelt - viel konsequenter als bisher - zu schützen und zu bewahren. Sie verdrängen die Gefahr einer ökologischen Apokalypse nicht, halten sie aber für überwindbar, wenn der Umweltschutz endlich wirksam durchgezogen wird. Diese Menschen verstehen sich als Teil einer Umweltbewegung, ihre politische Heimat finden sie vorrangig bei den "Grünen". Eine solche Einstellung scheint zunächst die realistischste und reifeste zu sein. Man verdrängt die Gefahr nicht, flüchtet nicht in den Konsumrausch, resigniert aber auch nicht, sondern stellt sich dem Problem und versucht, es zu lösen. Ich selbst habe Natur- und Umweltschutz früher für den - einzigen - richtigen Weg gehalten und eine konsequente Durchsetzung des "ökologischen Umbaus der Industrie-gesellschaft" befürwortet. Aber ich mußte erkennen, daß ich mich im Irrtum befand, und vertrete heute das Gegenteil. Jetzt behaupte ich: Das Engagement zur Rettung der Natur ist sogar die unrealistischste Haltung, weil sie als einzige davon ausgeht, wir könnten die Natur (in heutiger Form )erhalten oder ihr sogar wieder mehr Platz auf der Erde einräumen. Obwohl ich das Naturengagement - von der Motivation her - weiterhin für verantwortungsbewußt und idealistisch ansehe, halte ich es andererseits für gefährlich, weil es Illusionen nährt und notwendige Verhaltensänderungen blockieren mag. Außerdem wird dieser Ökologismus oft mit einer Intoleranz und Arroganz (des Besserwissenden) vertreten, mit schulmeisterlichem Moralisieren, bis hin zum Schnüffeln im Müll des Nachbarn, ob der auch seine Abfälle ordnungsgemäß getrennt hat. Ich denke, daß die vier genannten Haltungen zur Naturkrise - Verdrängung, Konsumrausch, Resignation und Umweltengagement - wirklich die häufigsten und wichtigsten sind. Und interessanterweise stieß ich jetzt in einem Artikel von Rolf P. Sieferle (GAIA 2/94) auf eine ähnliche Unterteilung: 1. Business as usual, 2. Carpe diem, 3. Intellektuelle Resignation und 4. Mahnung zur Umkehr, wobei Sieferle diesen Problem-Haltungen einen "Realistischen Umgang" gegenüberstellt. Entsprechend betrachte ich die vier von mir beschriebenen Einstellungen letztlich alle als unangemessen oder dysfunktional. Sie verraten damit auch ein "natürliches Denken", das egozentrisch und egoistisch begrenzt ist, dem es an Übersicht, Klarheit, Nüchternheit, Unvoreingenommenheit, Unparteilichkeit, aber auch Ganzheitlichkeit mangelt. Eine sinnvolle, funktionale Haltung mußsich dagegen aus einem technischen Denken, einem "Techno-Bewußtsein"speisen. Das ist schwierig, weil unsere technologische Reife noch bescheiden ist, wir eben noch stark "naturverbunden" sind. Dennoch: Der Geist kann am ehesten zukünftige Entwicklungen vorwegnehmen, auch wenn die Gefühle und das Verhalten hinterherhinken.Und so wird es möglich sein, eine neue Haltung gegenüber Natur und Technik zu beschreiben und einzufordern, in der Hoffnung, daß es gelingt, unsere Naturfixiertheit, unsere "Naturbesessenheit" so weit aufzulockern, daß die progressive Haltung Realität wird.
Halten wir zum Abschluß des 1. Kapitels die drei Hauptthesen noch einmal fest: Erstens: Der Mensch kann die Natur nicht retten. Zweitens: Der Mensch soll die Natur nicht retten. Drittens: Der Mensch muß sich durch die Technik retten.
2. Mutter Natur - Mythos und Monster
Ich habe bisher den Begriff "Natur" als selbstverständlich vorausgesetzt. Aber in einem Buch über die Natur kommt man nicht umhin, diesen Begriff zu definieren und genauer zu bestimmen. Aber ich verspreche Ihnen: Es geht dabei nicht nur um trockene Begriffserörterungen, sondern es wird durchaus spannend werden. Heute sagen wir oft auch Umwelt für Natur. Wir sprechen gleichbedeutend von "Naturschutz" und "Umweltschutz". Das ist problematisch, denn auch die uns umgebende technische Welt - wie Gebäude, Straßen und Maschinen - ist ja Umwelt. Trotzdem werde ich die Begriffe "Natur" und "Umwelt" zuweilen gleichbedeutend verwenden, da diese Sprechweise sehr gebräuchlich ist. Das Wort "Natur" stammt vom lateinischen "natura". Im Englischen und Französischen lautet es "nature" (nur unterschiedlich ausgesprochen). Der Begriff hat vor allem drei Bedeutungen: 1. der Kosmos, die gesamte Welt 2. das Wesen, der Charakter einer Sache oder Person 3. die ursprüngliche Beschaffenheit. Wenn man die Natur mit dem Kosmos gleichsetzt, dann ist alles Natur, und die Natur ist alles. Damit wird der Begriff im Grunde bedeutungslos, denn man kann nicht mehr Natur von Nicht-Natur unterscheiden. Auf diese Definition werde ich daher nicht zurückgreifen. Bei der zweiten Bestimmung geht es auch um einen inneren Aspekt. Die Natur eines Clowns ist, daß er Spaß macht. Die Natur eines Klaviers ist, daß man damit musizieren kann. Die Natur einer Straße ist, daß man darauf vorwärts kommt (obwohl man das in Stauzeiten in Frage stellen mag). Sehr viel schwieriger fällt allerdings, die Natur des Menschen oder die "Natur der Natur" zu definieren - wie wir noch sehen werden. Die wichtigste Bedeutung von "Natur" ist aber: Ursprünglichkeit. Dabei läßt sich der Naturbegriff am besten durch Gegenbegriffe erläutern:
Natur Gegenbegriffe Kultur Kunst Technik Zivilisation
Wenn Natur das Ursprüngliche und Unberührte ist, dann ist Kultur das Entwickelte und Gestaltete, ganz konkret als Anbau von Pflanzen, den Pflanzen-Kulturen. Das weist uns schon auf ein Problem hin: Sprechen wir heute von "Natur", meinen wir normalerweise umgestaltete, kultivierte Natur. Die uns umgebenden Pflanzen und Tiere wurden durch menschliche Eingriffe wie die Zucht verändert. Unberührte Natur gibt es kaum noch. Im weiteren bezeichnen wir als Kultur all das, was der Mensch aus der Natur, aber auch in ihrer Überwindung entwikkelt hat: Wissenschaft und Kunst, Religion und Philosophie, Sitten und Gebräuche u. v. m. Heute verwendet man den Begriff der Kultur oder auch Subkultur fast inflationär, spricht von "Unternehmenskultur", Subkulturen wie HipHop oder Punk; "kultisch" ist selbst eine Szenewort geworden. Bei dieser Gegenüberstellung von Natur und Kultur wird die Kultur grundsätzlich höher bewertet, weil das Natürliche als roh, primitiv und ungehobelt erscheint. Das zeigt sich bereits sprachlich: Kultiviert hat eine positive, unkultiviert (= im Naturzustand) eine negative Bedeutung. Ganz kraß wird diese Abwertung beim "Kulturbanausen", also von jemandem, der keine Kenntnis von Kultur oder kein Interesse an ihr besitzt. Allerdings gab und gibt es - gerade heute - auch Gegenrichtungen, bei denen die Natur der Kultur übergeordnet wird. Da wird die Natur als Basis angesehen, während die Kultur nur als kopflastiger Überbau gilt. Da ist der Naturbursche allemal beliebter als der Intellektuelle. Eigentlich müßten wir hier unterscheiden zwischen höherer und niedrigerer Kultur. Wer nichts für die hohe Kultur wie Wissenschaft und Philosophie übrig hat, sondern sich nur für Fritten, Bier und Pornofilme erwärmt, ist deswegen noch kein Naturfreund.
Natur gegen Kunst
Das führt uns zwanglos zur Kunst, die gerne als besonderer Ausdruck von "Hochkultur" verstanden wird. Kunst bildet - jedenfalls sprachlich - den schärfsten Gegensatz zur Natur, wie sich in dem Gegensatzpaar natürlich - künstlich zeigt. Allerdings bezieht sich das Adjektiv "künstlich" nicht nur direkt auf die Kunst im Sinne von Musik, Literatur oder Malerei, sondern letztlich auf alles, was nicht natürlich ist, zum Beispiel auf die Intelligenz eines Computers, die künstliche Intelligenz. Die Wertschätzung der Sprache liegt in diesem Fall mehr auf Seiten der Natur. "Künstlich" gilt als negativ, noch negativer ist "gekünstelt", im Gegensatz zum positiven "ungekünstelt". Zwar meint man hier vorrangig das Verhalten eines Menschen. Man fordert von ihm, sich so zu geben, wie es seiner Natur entspricht, also natürlich. Doch auch darüber hinaus hat das Künstliche ein Minus-Image. Kunstfaser wird etwa noch immer geringer geachtet als Naturfaser, der Kunststoff wird weniger geschätzt als der Naturstoff. Aber es gibt hier eine Gegenentwicklung. Die künstliche Wirklichkeit ("Virtual Reality") - der Begriff benennt die vom Computer erzeugte Bildschirmrealität - hat einen positiven Beiklang, fasziniert manche bereits mehr als die normale Wirklichkeit. Kehren wir zurück zu eigentlichen Kunst, wie Poesie, Bildhauerei oder Architektur. Die Künstler haben teils versucht, die Natur so genau wie möglich abzubilden oder nachzuahmen - naturgetreu. Andere haben die Natur gerade verfremdet dargestellt oder in Abwendung von ihr ganze Phantasiewelten entworfen. Das wird von der Sprache durchaus gewürdigt, "kunstvoll" oder "künstlerisch" klingen im Gegensatz zu "künstlich" positiv. Wir haben den Begriff der Künstlichkeit auch schon im technischen Bereich kennengelernt, etwa bei der künstlichen Intelligenz. Auch Technik ist ein Gegenbegriff zur Natur. Er stammt vom griechischen "techne" und bedeutet ursprünglich soviel wie "kunstgerechte Anwendung". Heute verstehen wir unter Technik in erster Linie die praktische, zweckmäßige Anwendung von Naturgesetzen zur Herstellung von Maschinen und Werkzeugen. Im Gegensatz zum Kulturbegriff steht hier das Materielle im Vordergrund: Apparate, Motoren, Geräte. Mittlerweile wird der Begriff der Technik auf fast alles zielgerichtete, strategische Verhalten bezogen: Lerntechnik, Schreibtechnik etc. "Technologie" bezeichnet ursprünglich die Lehre oder Wis-senschaft von der Technik; im modernen Sprachgebrauch un-terscheidet man aber nicht mehr zwischen Technik(en) und Technologie(n). Ich wähle in diesem Buch den Begriff "Technik" als zentralen Gegenbegriff zu "Natur". Was natürlich ist, ist nicht technisch; und was technisch ist, ist nicht natürlich. Daran hindern mich auch nicht problematische Wortbildungen wie "Biotechnik" oder "Biotechnologie". Wenn ich es richtig sehe, wird der Technik-Begriff sprachlich immer noch eher negativ beurteilt, jedenfalls Wörter wie Technokrat oder Technizismus. Aber es scheint ein Prozeß der Umwertung im Gange. Wortschöpfungen wie "neue Technologien" oder "Computertechnik" stehen wohl auf der positiven Seite. Es ist sehr wichtig, daß schon durch die Sprache Begriffe bewertet oder emotional besetzt werden. Zwar stehen dahinter gesellschaftliche Werte und Gefühlseinschätzungen. Aber weil diese sprachlich fixiert sind, lassen sie sich viel schwerer verändern. Ober es kann vorkommen, daß die sprachgebundenen Bewertungen den gesellschaftlichen hinterherhinken. Wenn man also eine positive, bejahende Einstellung zur Technik fördern will, dann muß man gewissermaßen die Begriffe "besetzen" und neu bewerten. Man muß dafür sorgen, daß das Wort "Technik" schon an sich angenehm in unseren Ohren klingt und erfreuliche Assoziationen weckt. Damit verbunden ist die Abwertung des Naturbegriffs, und das bedeutet einen harten Brocken. Denn obwohl es in der Gesellschaft mittlerweile auch kritische Haltungen zur Natur gibt: Das Wort "natürlich" genießt nach wie vor eine enorme, fast unangetastete Wertschätzung; dagegen lösen die Begriffe "unnatürlich" oder gar "widernatürlich" spontan Ablehnung aus, wecken düstere Gedanken an Krankhaftigkeit und Perversion. Bleibt noch der Begriff Zivilisation; man kann ihn als Oberbegriff für Kultur, Kunst und Technik verwenden. Er umfaßt die geistigen und materiellen Aspekte der Überwindung des Naturzustandes, kennzeichnet die neue Lebensform des Menschen, der sich von der Natur abgelöst hat bzw. sich in einem Ablösungsprozeß befindet. Ursprünglich war der Zivilisations-Begriff positiv besetzt. Zivilisiert wurde dem Negativ-Begriff unzivilisiert gegenübergestellt. Seitdem aber die Problemseiten der zivilisierten Welt (die von manchem auch als "überzivilisiert" kritisiert wird) drastisch deutlich geworden sind, hat der Begriff der Zivilisation an Wertschätzung eingebüßt. Das zeigen auch Wortbildungen wie "Zivilisationskrankheit".
Ist die Natur eine Frau?
Besonders interessant ist nun, daß die Natur oft als weiblich bezeichnet wird. Das war bereits in der traditionellen Philosophie so, aber heute vertreten gerade Feministinnen diese These von der Verwandtschaft zwischen Natur und Frau. Man bzw. frau begründet das sogar sprachlich, daß nämlich Natur sowie die entsprechenden Begriffe Erde und Materie grammatikalisch weiblich sind: die Natur, die Erde, die Materie. Und das gilt nicht nur in der deutschen Sprache, sondern zum Beispiel auch in der französischen, vor allem aber in der zugrundeliegenden lateinischen Sprache: natura, terra, materia. Damit noch nicht genug. Weiter heißt es, Natur, Erde und Materie ständen nicht nur allgemein für Weiblichkeit, sondern für Mütterlichkeit. Denn wir sprechen doch von "Mutter Natur" oder - noch gebräuchlicher - von "Mutter Erde". Und das Wort "Materie" ist sogar vom lateinischen mater = Mutter abgeleitet. Wenn der Natur ein weibliches Geschlecht zugewiesen wird, dann müssen die Gegenbegriffe Kultur und Kunst, vor allem aber Technik und Zivilisation als "männlich" charakterisiert werden. Hier klappt es allerdings nicht mit dem grammatikalischen Geschlecht, denn wir sagen ja ausnahmslos: die Kultur, die Kunst, die Zivilisation und die Technik. Auf die Problematik all dieser Geschlechtszuweisungen komme ich noch zurück. Hier interessiert uns jetzt nur, daß das Weibliche heute überwiegend als sanft, friedlich, liebevoll bestimmt wird (während die alten Philosophen es gerade als gefährlich und vereinnahmend ansahen). Somit wird auch die - weibliche - Natur als sanft, soft und süß beschrieben, als streichelzart und kuschelweich. Sie ist eben die "gute Mutter", die ihre Menschenkinder nährt, behütet und schützt. Wir stoßen auf einen Mutter-Mythos, das Bild von der allzeit lieben, eben mütterlichen "großen Mutter", die sich für uns aufopfert. Dieser verkitschten Mutter-Mär von der guten Natur möchte ich im nächsten Punkt ein realistische Schilderung der Naturwelt gegenüberstellen und klarmachen, daß es sich hier mehr um eine Schreckens- als eine Märchenwelt handelt. Mutter Natur ist auch ein Monster.
Raubtiere, Giftpflanzen, Krankheitskeime
Seien wir ehrlich: Wenn es keine häßlichen Kellerasseln gäbe, würden wir sie sehr vermissen? Und wenn die nervend brummende Fliege aussterben würde, wäre das tragisch? Oder wenn es gelänge, den böse stechenden Bremsen den Garaus zu machen, müßten wir dann ein schlechtes Gewissen haben? Ich meine: dreimal nein. Dabei haben wir es hier nur mit lästigen "Viechern" zu tun. In dem lehrreichen Buch "Schach dem Ungeziefer" (Untertitel) werden sie treffend als Lästlinge bezeichnet. Und wenn man solche "naturhaften" Störenfriede schon wegwünscht, um wieviel mehr gilt das für echte Bedrohungen und Angriffe aus dem Naturreich?! Aber erst mal der Reihe nach. Ich habe schon festgestellt und werde noch öfters feststellen (damit die Botschaft auch 'rüberkommt und sogar den Sentimentalitätspanzer der Naturromantiker durchdringt): Die freie Natur ist kein Paradies, kein Garten Eden, sondern eine Kampfstätte. Ein Ort, wo es fortwährend ums Überleben oder Sterben geht. Unablässig stellt ein Tier dem anderen nach, versucht, es mit Gewalt oder List und Täuschung einzufangen, zu töten und zu fressen. Wenn man so will eine Großkantine, in der der Gast aber nicht weiß, ob er etwas zu essen bekommt oder selbst auf der Speisekarte steht. Zwar ist nicht jedes Lebewesen von jedem anderen bedroht, ist nicht jedes "Freßfeind" von jedem anderen. Viele Pflanzen sind für uns Menschen völlig harmlos, wir brauchen bestimmt nicht vor einem Apfelbaum davonzurennen. Auch viele Tiere können uns nichts anhaben. Ein Wildkaninchen wird einen normalerweise kaum in Angst versetzen - es sei denn, es hat Tollwut. Aber das ändert nichts an dem generellen Schlachtungstrieb in der Natur. Wir Menschen haben unsere wichtigsten Freßfeinde wie Raubkatzen, Krokodile und Wölfe dezimiert. Wir sind so Gott-sei-Dank aus dem Kreislauf des Fressens und Gefressenwerdens weitgehend ausgeschieden. Genauer gesagt, wir (fr)essen nur noch, werden aber kaum mehr gefressen (allerdings nach dem Tode, im Sarg, kann man doch noch Freßopfer der Würmer werden). Der Mensch hat gelernt, sich durch vielfältige Techniken zu schützen und zu bewaffnen. Er braucht die Tiere kaum mehr zu jagen, sondern züchtet sie en masse für seinen Eßtisch. Sicher die angenehmste Position, aber eine dem Menschen angemessene? Jedenfalls sollten wir unsere bedrohliche Vergangenheit nicht vergessen. Naturvölker leben teils heute noch unter dieser Bedrohung, von Tieren gefressen zu werden. Und wer sich ungeschützt in die Wildnis begibt, freiwillig oder unfreiwillig, etwa nach einem Flugzeugabsturz, kann schnell wieder auf dem Freß-Karussell landen. Wie heißt es doch: Wer sich in die Natur begibt, kommt darin um. Oder so ähnlich. Nun mag man dieses gegenseitige Auffressen, so abstoßend es auch ist, noch damit rechtfertigen, daß ein (fleisch-fressendes) Tier eben nur überleben kann, indem es sich andere Tiere einverleibt. Aber keineswegs jede Aggression oder Tötung dient der Ernährung. Treten Sie einer kleinen Giftschlange auf den Schwanz. Sie beißt zu, womöglich tödlich, aber nicht um Sie zu verspeisen, sondern aus Furcht oder einfach, weil sie in ihrer Mittagsruhe auf dem sonnigen Felsen gestört wurde. Es ist schlimm genug, wenn sich Tiere verschiedener Arten töten. Aber noch mehr stößt ab, wenn Artgenossen oder sogar Angehörige des gleichen Rudels, gewissermaßen der gleichen Familie gekillt werden. Und doch ist dies keine Seltenheit: Tötung, um die eigenen Gene, das eigene Erbgut möglichst zu verbreiten. So morden Löwenmännchen, die eine Löwengruppe übernehmen, oft die Jungen des vorherigen Gruppenführers. Die Weibchen können dann nämlich schneller wieder gedeckt werden und um so mehr Nachkommen des neuen Chefs, mit dessen Genen, produzieren. Das Kämpfen und Schlagen, Hauen und Stechen, Würgen und Beißen ist zwar der Normalfall in der Natur, aber es gibt doch Tiere, die uns besonders bedrohlich vorkommen, die Raubtiere. Zu diesen gehören Raubkatzen wie Löwen, Tiger und Panther; Bären, zum Beispiel der berühmte Grizzly, die keineswegs so gemütlich sind, wie uns die Teddybären glauben machen; Hyänen, Wölfe sowie ursprünglich Hunde, wenn man das einem Mops auch kaum mehr anmerkt. Raubtiere sind normalerweise Fleischfresser, mit kräftigen Eckzähnen und scharfen Reißzähnen. Die dolchartigen Eckzähne halten die Beute fest, die Reißzähne zerschneiden sie wie Scheren. Daneben gibt es Raubvögel wie Adler, Bussard und Habicht, außerdem Raubfische wie den Hai; schließlich eher exotische Räuber wie Raubfliegen oder Raubkäfer. Wer kann sich heute noch das Grauen vorstellen, das die Menschen früher ergriff, wenn sie von einem Wolfsrudel belagert, gehetzt oder angegriffen wurden? Oder wenn sie schon das Heulen der Wölfe hörten. Wir kennen das fast alle nur noch aus dem Kino. Und dennoch beschleicht einen eine gewisse Beklemmung, wenn man einen Wolf sieht. Da mögen die modernen Wolfsforscher uns auch versichern, Wölfe seien die nettesten und friedlichsten Tiere. Neben den Raubtieren sind die Gifttiere wohl die gefährlichsten. Es gibt Gifttiere des Landes, des Wassers und der Luft. Da krabbeln dann giftreiche Skorpione und Spinnen, schwimmen giftige Fische und Quallen, fliegen und schwirren Insekten mit Giftstachel. Was ist denn Ihre Lieblingsspinne? Vogelspinne, Tarantel, Schwarze Witwe oder die Einsiedlerspinne? Wieviele schlaflose Nächte haben an der Schlafzimmerdecke sitzende Spinnen (auch ganz ungiftige) Frauen wie Männern schon eingebracht! Und von welcher Schlange ließen Sie sich am liebsten beißen? Kreuzotter, Aspisviper, Klapperschlange, Schwarze Mamba oder Todesotter? Ich empfehle die Kreuzotter, deren Gift ist nicht lebensbedrohlich. Ein Stich von einer Wespe scheint dagegen fast harmlos. Aber wenn die einen etwa in den Mund sticht oder man eine Allergie gegen das Wespengift hat, kann es auch hochdramatisch werden. Es ist Ihnen wahrscheinlich recht, wenn wir es bei dieser kleinen Auswahl aus dem Bereich der Gifttiere belassen. Wenden wir uns jetzt den Viechern zu, die nicht direkt gefährlich, aber ausgesprochen lästig sind und einem schon manchen (Ferien-)Tag vermiesen können. Als da wären Wanzen, Flöhe, Läuse - Ungeziefer nennt man sie zurecht. Weiter Schnaken, Bremsen, Mücken (manche Mückenarten bedeuten allerdings doch eine Gefahr, weil sie Krankheiten wie Malaria übertragen). Wer kennt es nicht, das enervierende Summgeräusch, wenn man abends im Bett liegt, um sich der Ruhe hinzugeben! Man schlägt nach dem Biest, trifft aber allenfalls die Nachttischlampe. Macht der Geplagte dann die Lampe an, vorausgesetzt sie geht noch, ist von der Mücke nichts mehr zu hören und zu sehen. Übrigens, daß sensible Gemüter schon die Fliege an der Wand fast verrückt machen kann, ist ja bereits sprichwörtlich. Einen Plagegeist will ich noch erwähnen, die Motte. Sei es als Getreidemotte, die durch eklige Fäden selbst dem enthusiastischsten Müsliesser den Appetit verderben kann. Sei es als gefräßige Kleidermotte - ich habe da so meine Erfahrungen. Und vielleicht haben Sie auch schon einmal einen Urschrei ausgestoßen, als Sie aus dem Kleiderschrank die Winterpullover hervorholen wollten, und die edlen Wollstücke waren durch weißliche Beläge, die Mottenlarven, und diverse Löcher verziert.
Pflanzen als Giftmischer
Retten wir uns von diesen unersprießlichen Tieren ins Pflanzenreich. Da scheint die Welt noch in Ordnung zu sein. Pflanzen halten wir gemeinhin für friedliche, sanfte Lebewesen (von Ausnahmen wie den fleischfressenden Karnivoren abgesehen), die eigentlich nur dazu da sind, gut zu duften, Sauerstoff für uns zu produzieren oder schön auszusehen. Aber das ist ein gravierender Irrtum. Wie der Ernährungswissenschaftler Udo Pollmer und Co-Autoren schreiben: "Kein Lebewesen, sei es Pflanze oder Tier, wird gern gefressen und versucht deshalb der Verdauung durch andere Lebewesen zu entkommen. Bei Gefahr können Tiere davonlaufen, Pflanzen jedoch nicht. Sie müssen sich also auf andere Weise vor einer hungrigen Umwelt schützen. Und sie wehren sich mit ausgetüftelten Abwehrstoffen gegen alles und jedes, egal ob Mikroben, Motten, Mäuse oder Menschen." In der Wissenschaft wird nach heutigem Stand von etwa 20.000 Stoffen ausgegangen, mit denen Pflanzen vor allem räuberische Insekten oder schmarotzende Pilze abwehren können. An oberster Stelle im botanischen Waffenarsenal liegt die "chemische Keule", körpereigene Gifte der Pflanzen. Nikotin ist zum Beispiel der natürliche Giftstoff der Tabakpflanze. Bekannt ist auch das Solanin, ein Gift, das sich in unreifen Kartoffeln bzw. an grünen Stellen findet. Die Platane, ein bis zu vierzig Meter hochwachsender Laubbaum, sondert aus ihren Blättern einen Saft aus, der den Boden unter ihr ganz vergiftet. Da wächst dann nicht einmal mehr ein Grashalm. In dem Weltbestseller "Dino Park" ("Jurassic Park") gibt der Wissenschaftsautor Michael Crichton der Forscherin Elli folgende Gedanken ein: "Die Leute sind ja so naiv, was Pflanzen angeht, dachte Elli. Die suchen sich Pflanzen nur nach dem Aussehen aus, so wie man ein Bild für eine Wand auswählt. Dabei denken sie gar nicht daran, daß Pflanzen lebende Wesen sind mit allen lebenswichtigen Funktionen wie Atmung, Verdauung, Ausscheidung, Fortpflanzung - und Verteidigung. Elli als Paläobotanikerin wußte, daß sich Pflanzen im Verlauf der Erdgeschichte auf ähnlich kämpferische Weise entwickelt hatten wie die Tiere, manche sogar noch aggressiver. Das Gift der Serenna veriformans war nur ein Beispiel für das komplexe Arsenal chemischer Waffen, das die Pflanzen entwickelt hatten. Da gab es Terpene, die die Pflanzen absonderten, um den Boden zu vergiften und Konkurrenten aus der Nachbarschaft zu vertreiben, Alkaloide, die sie für Insekten, Raubtiere (und Kinder!) ungenießbar machten; und Pheromone, die zur Kommunikation dienten." Beschäftigen wir uns - nur theoretisch - noch etwas ausführlicher mit Giftpflanzen: eine kurze (nicht vollständige) alphabetische Übersicht. Alraune, Aronstab, Bilsenkraut, Brechnuß (enthält das gefürchtete Strychnin), Eibe, Einbeere, Eisenhut, Fingerhut, roter Goldregen, Herbstzeitlose, Kirschlorbeer (enthält die berüchtigte Blausäure), Lattich, Mohn (enthält 30 verschiedene Alkaloide, darunter Morphin und Kodein, bekannte Suchtmittel), Nieswurz, Oleander, Petersilie (ja, sogar die küchenvertraute Petersilie enthält in ihren Samen ein leichtes Nervengift: Apiol), Stechapfel, Tollkirsche, Wasserschierling, Wolfsmilch. Es sei nicht verschwiegen, daß manche dieser Gifte - in entsprechend niedriger Dosierung - auch für Medikamente verwendet werden, zum Beispiel das Digitalis aus dem Fingerhut für Herzmittel oder das Atropin aus der Tollkirsche. Aber sie bleiben dennoch gefährliche Naturgifte, die schon unzählige Menschen das Leben gekostet haben. Und selbstverständlich sind auch die aus diesen Giftstoffen hergestellten Arzneimittel nicht ungefährlich. Es ist also absurd, wenn heute viele Menschen meinen, aus Naturstoffen hergestellte Medikamente, sogenannte Naturheilmittel, wären garantiert unschädlich und nebenwirkungsfrei.
Gefährliche Pilze
Die oben genannten Giftpflanzen haben aber wohl nicht so viele Menschenleben auf dem Gewissen wie die Giftpilze. Besonders bekannt unter ihnen sind der weiße und der grüne Knollenblätterpilz: sie wirken durch Leberschädigung tödlich - etwa 90 % aller Todesfälle durch Pilzvergiftung gehen auf ihr Konto; der Pantherpilz führt zu Nervenstörungen und lähmt Herz wie Atmung; beim mehrmaligen Essen des Kahlen Kremplings kann eine tödliche Lebensmittelallergie entstehen; der prominenteste in dieser Gruppe ist aber wohl der Fliegenpilz, mit rotem Hut und weißen Flocken, dessen Giftigkeit variiert. Zwar gelten von den vielen Pilzarten nur etwa 15 als giftig. Und diese wirken auch nicht alle gleich tödlich, sondern führen primär zu Durchfall oder Erbrechen - je nach medizinischen Maßnahmen. "Nur" vier Arten sind ausgesprochene Killer. Man könnte sich also auf die Mehrheit der anderen Pilze beschränken, obwohl nicht jeder ungiftige Pilz deshalb schon genießbar ist (es käme wohl niemand auf die Idee, eine Stinkmorchel zu verspeisen). Das Tückische ist aber: Giftige und ungiftige Pilze sehen sich oft sehr ähnlich, mancher Speisepilz hat geradezu einen gifthaltigen Doppelgänger. So können bestimmte Champignons mit dem weißen Knollenblätterpilz verwechselt werden. Davon ist aber bereits einer tödlich. In meinem alten Pflanzenkunde-Sachbuch stehen noch Merksätze wie "Sammle keine Pilze mit weißlichem Stiel, Ring und Knolle und mit weißlichen Lamellen!" oder "Meide Pilze mit roten Röhren und rötlichem Stiel und solche mit eingerissenem Rand!" Aber solche Ratschläge reichen leider keinesfalls aus, um eßbare Pilze sicher von giftigen zu unterscheiden. Wer also meint, Mutter Natur habe uns einen reichlichen Eßtisch mit ausschließlich gesunden und wohlschmeckenden Gaben gedeckt, der irrt gewaltig. Und es könnte sein letzter Irrtum sein. Nein, mit Pflanzen ist keineswegs immer gut (Toll)-Kirschen essen. Noch einmal zurück zum "großen Fressen". Daß Tiere andere Tiere fressen und daß Tiere Pflanzen fressen (und manchmal auch Pflanzen Tiere) und daß sich Pflanzen gegen die Tiere wehren, dies ist noch nicht das Ende. Sondern die Tiere müssen wiederum Strategien entwickeln, die Pflanzen trotz ihrer Abwehrgifte fressen zu können. Udo Pollmer et al. bringen folgendes Beispiel: "Oder nehmen wir die eingerollten Blätter, die man bei Spaziergängen häufiger beobachten kann. Diese Blätter enthalten Stoffe, die in Zusammenwirkung mit UV-Licht tödlich für Insekten sind... Aalt sich eine satte Raupe in der Sonne, bildet sich nach der Mahlzeit in ihrem Körper Gift. Deshalb greifen schlaue Insekten im Schatten an und injizieren dem Blatt ein Hormon, das dafür sorgt, daß es sich einrollt. So ist das Insekt vor schädlicher Strahlung sicher und kann sich im Halbdunkel sattfressen." Pflanzen können aber eine Gegengegenabwehr entwickeln. Wie Pollmer und Mitautoren weiter berichten, gilt das für das Johanniskraut. Seine Blätter lassen die Strahlen durch, welche für die Giftbildung verantwortlich sind. Da nützt es einem Insekt nichts mehr, wenn es das Blatt einrollt. Kurzum, in der Natur gilt das Gesetz: Jeder gegen jeden. Tiere gegen Tiere. Tiere gegen Pflanzen. Pflanzen gegen Tiere. Pflanzen gegen Pflanzen. Und der Mensch? Der Mensch gegen (fast) alle. Sicher, das ist pointiert. Es gibt in der Natur auch Harmonie, es findet auch Zusammenarbeit statt. Und vor allem das Phänomen der Symbiose begeistert und rührt die Naturidealisten immer wieder aufs neue, "die enge Lebensgemeinschaft zweier verschiedener Arten zum beiderseitigen Nutzen". So wird die Symbiose in dem Buch "Biologie" von Klaus-Rainer Hasenkamp definiert. Der Autor bringt als - gerne verwendetes - Beispiel die Symbiose zwischen Einsiedlerkrebs und Seerose. Der Einsiedlerkrebs bewohnt ein leeres Schneckenhaus, auf das er, zum besseren Schutz, eine mit Nesselarmen bewehrte Seerose pflanzt. Der Seerose, die sich nicht selbständig fortbewegen kann, dient der Krebs andererseits als Transportvehikel. Die beiden Tiere bleiben unzertrennlich. Zieht der Krebs in ein neues Schneckenhaus, dann pflanzt er seine Rose auf dieses Haus um. Das hört sich richtig idyllisch und altruistisch an, aber lassen wir uns nicht täuschen. Wie hieß es in der Definition von "Symbiose"? "Zum beiderseitigen Nutzen". Es geht also nicht darum, daß der Krebs der hübschen Seerose aus reiner Sympathie einen Gefallen tun möchte. Oder daß die Seerose unsterblich in den flotten Krebs verliebt ist. Sondern es geht letztlich um das eigene Überleben oder um die Ausbreitung des eigenen Erbgutes, der eigenen Gene: "Gen-Egoismus". Krebs und Rose bilden nur eine Zweckgemeinschaft. Und so dreht sich alles in der Natur immer um Zweck, um den eigenen Nutzen. Auch das, was uns einfach schön vorkommt, ohne Berechnung und Absicht, wie farbenfrohe Blüten mit köstlichem Duft, ist im Grunde funktional: Die Farben und Düfte sollen Insekten anlocken, die für die Fortpflanzung eingespannt werden. Die Negativschilderung der Natur als egoistisch und selbstsüchtig ist keine Spekulation, sondern wird von der modernen Biologie gestützt. So heißt es in dem 1995 erschienenen Werk "Im Egoismus vereint?" des Verhaltensbiologen Kurt Kotrschal: "Die zentrale These dieses Buches lautet: Tiere und Menschen sind nur am eigenen Vorteil, nicht aber am Überleben der Art interessiert. Diese neue, konsequent-evolutionäre Sicht steht im diametralen Gegensatz zum Credo der klassischen Verhaltensforschung von der Harmonie in der Natur." Vorreiter der Theorie von der "eigennützigen Natur" war Richard Dawkins mit seinem berühmten Buch "Das egoistische Gen" (1976, deutsch 1978). Nun könnte man ja solche Formen der Zusammenarbeit wie zwischen Krebs und Seerose, auch wenn sie letztlich egoistisch motiviert sind, als positiv einschätzen, wie gute Handelsbeziehungen in der kapitalistischen Marktwirtschaft. Aber das friedliche Zusammenwirken, erst recht die Symbiose, ist doch eher eine Welle auf einem Meer des Kampfes. In der Natur herrscht Krieg, und zwar nicht nur "konventioneller" Krieg mit Beißen, Würgen, Schlagen, sondern auch Krieg mit - im wahrsten Sinne des Wortes - biologischen sowie chemischen Waffen. Giftgas, die Natur hat es lange vor den Menschen erfunden. Nur fehlt in der Natur eine Konvention, die vor dessen Einsatz schützt. In der Natur gibt es Krieg, und "jeder geht hin", weil sich eben keiner da raushalten kann. Entmilitarisierte Zonen, Neutralität oder Nicht-Angriffs-Pakte sucht man vergeblich. Keiner kann sich raushalten? Doch, der Mensch hat gelernt, sich gegen diesen Krieg partiell abzuschotten. Anders gesagt, er ist der Überlegene, die Tiere und Pflanzen müssen ihn mehr fürchten als er sie. Und durch seine Eingriffe verändert er das Kriegsgeschehen, etwa wenn er bestimmte Pflanzen, die er als Nutzpflanzen definiert, gegen andere Pflanzen schützt, die für ihn Unkraut sind. Aber der Mensch hat noch nicht eine sichere Position der Unangreifbarkeit erreicht. Und vor allem gegen einen Naturgegner ist er bisher keineswegs der Sieger. Dabei handelt es sich ausgerechnet um die kleinsten Lebewesen, Mikroorganismen, Krankheitserreger wie Bakterien und Viren.
Die kleinen Killer
Tuberkulose-Bakterien, Milzbrand-Bazillen, Masern-Viren, Cholera-Vibrionen, Feldfieber-Leptospiren, Lues-Treponemen, Ruhr-Amöben, Kinderlähmungs-Viren, Hirnhautentzündungs-Viren... Reicht Ihnen diese Aufzählung? Daß sie alles andere als vollständig ist, zeigt schon die Tatsache, daß der Aids-Virus nicht darin enthalten ist. Dabei dürfte Aids die Infektionskrankheit sein, über die in den letzten Jahren am meisten gesprochen und geschrieben wurde. Obwohl sich die Seuche - bei uns - nicht so explosionsartig ausbreitet wie zunächst befürchtet, bleibt sie eine der gefährlichsten und tödlichsten Infektionen. Der HI-Virus (Humanes Immunschäche-Virus) reduziert bestimmte weiße Blutkörperchen, die sogenannten T-Helfer-Zellen, die zuständig sind für den Schutz gegen Krankheitskeime und Krebszellen. Er schlüpft in diese Zellen und funktioniert sie um für seine eigene Vermehrung. Schließlich, meist erst nach Jahren, ist die Immunabwehr des Menschen so geschwächt, daß er anderen Erregern erliegt oder an Krebs stirbt. Man sollte einem Virus nicht eine Persönlichkeit unterstellen, und dennoch, wie kann man sein Verhalten anders beschreiben als mit hinterhältig und heimtückisch, militant und machtbesessen? Ja, auch auf dieser Ebene der Natur, zwischen dem Körper und aggressiven Krankheitserregern herrscht Krieg. Unser Körper ist ständig Angriffen von Mikroorganismen ausgesetzt und überlebt nur, wenn das Immunsystem schlagkräftig - wie eine gut organisierte Armee - die Aggressoren abwehrt. Übrigens bekämpfen sich auch Mikrowesen gegenseitig. Die Bakteriophagen, das sind große Viren, infizieren Bakterien, die daran meist zugrunde gehen. Manche, früher tödlich verlaufende Infektionskrankheit, hat die moderne Medizin vor allem dank Impfungen und dank Antibiotika ganz gut im Griff. Nur ein Beispiel: Die Pest, der "schwarze Tod", entvölkerte im Mittelalter ganze Landstriche in Europa. Heute gibt es bei uns keine Pestfälle mehr. Daß diese Krankheit weltweit allerdings noch nicht besiegt ist, hat die - lokal begrenzte - Pestepidemie 1994 in Indien gezeigt. Neue oder vorher unbekannte Krankheitserreger wie par excellence HIV machen aber auch den Medizinern in den hochzivilisierten Staaten Sorgen. Hinzu kommt, daß die Antibiotika, die Hauptwaffe gegen allmögliche Bazillen, immer weniger greifen. Durch die übertriebene Anwendung dieser Medikamente, auch bei harmlosen Infektionen und nicht zuletzt in der Tierzucht, haben sich etliche Bakterien praktisch daran gewöhnt, sie sind resistent dagegen geworden. Und das besonders Gefährliche: Diese Resistenz wird weitervererbt, in Windeseile entstehen variante Bakterienstämme, denen diese Mittel gar nichts mehr anhaben können. Außerdem drohen neue exotische Krankheiten, die durch Tropenreisende als unerwünschtes Souvenir mitgebracht oder auch durch Ferntransporte eingeschleppt werden. 1995 gab es große Aufregung um das Ebola-Virus. Der "Film zum Virus", der Kinohit "Outbreak - Lautlose Killer" schürte die Ängste noch, und die Medien puschten Ebola zum schlimmsten Todes-Virus hoch. Aber es gibt in Afrika viele vergleichbare Viren - und angeblich auch noch gefährlichere. Nur horcht die Weltöffentlichkeit meist erst dann auf, wenn Weiße von solchen Infektionen betroffen sind. Insgesamt ist der körperliche, seelische und wirtschaftliche Schaden durch Infektionskrankheiten unermeßlich. Kinder werden durch Kinderlähmung verkrüppelt, Alte und Geschwächte erliegen Lungenentzündungen, Kriegsflüchtlinge werden unter mangelhafter Hygiene von Cholera und Typhus hinweggerafft. Fast banal klingt es dagegen, auf die Milliardenverluste der Wirtschaft schon durch vergleichsweise harmlose Infektionen wie "Erkältung" oder Schnupfen hinzuweisen. Heute befürchten viele Menschen, daß durch die Gentechnik unbekämpfbare Killerbakterien entstehen und versehentlich freigesetzt werden könnten. Doch wir können optimistisch sein, daß eine solche Katastrophe nicht auftritt. Größer als die Gefahr ist die Chance, daß es den Gentechnikern eines Tages gelingt, den Krankheitserregern ihren Schrecken zu nehmen. Was die meisten Naturfreunde gerne vergessen: Auch Krankheitserreger, auch Aids-Viren, sind Natur. Von daher ist es absurd zu fordern, wir sollten mit der ganzen Natur in Harmonie leben. Glücklicherweise hört unser Immunsystem nicht auf solche Kopfgeburten, sonst wären wir in Kürze tot. Zwar gibt es auch harmlose, sogar nützliche Mikroorganismen, doch viele sind äußerst gefährlich und angriffslustig. Harmonie mit ihnen ist nicht möglich, entweder sie sterben oder wir. Übrigens habe ich auch noch nie gehört, daß sich ein Naturfreund als "Aids-Viren-Freund" zu erkennen gibt oder sich für den Schutz der Tripper-Gonokokken stark macht. Auch sind mir Tierfreunde der Abteilung Ruhr-Amöben unbekannt.
Tödliche Naturkatastrophen - "Sanfte Natur"?
Nun zu einem ganz anderen Bereich von Naturgefährdungen, zu den sogenannten Naturkatastrophen. Die lassen sich ganz gut nach den klassischen vier Elementen Feuer, Wasser, Luft und Erde einteilen. Diese Elemente beinhalten schon in sich eine Gefahr, ohne daß es gleich zu einer generellen Katastrophe kommen muß. Das Feuer kann verbrennen, im Wasser kann man ertrinken, die Erde kann einen erschlagen und die Luft bzw. der Wind kann jemand durch die Gegend wirbeln. Von einer Katastrophe sprechen wir aber erst, wenn eine solche Naturgewalt (der Begriff "Gewalt" ist bezeichnend) viele Menschen verletzt oder tötet, umfangreiche Wirtschaftsgüter zerstört oder wenn die Natur sich in großem Ausmaß quasi selbst beschädigt, indem sie zum Beispiel Pflanzen und Tiere massenhaft tötet.
1. Feuer-Katastrophen (bzw. Wärme-Katastrophen) - Brand, Buschbrand, Waldbrand, Feuersbrunst, Hitzewelle - (bei Mangel an Wärme) Eiszeit, Kältewelle, Extremfrost, Straßenglätte, Schneelawinen 2. Wasser-Katastrophen - Überschwemmung, Hochwasser, Flutkatastrophe, Sturmflut, Flutwelle, Tsunami, Seebeben, Unwetter, Extremhagel - (bei Mangel an Wasser) Dürre, Trockenzeit 3. Erd-Katastrophen - Erdbeben, Erdrutsch, Bergsturz, Lawine - Vulkanausbruch 4. Luft-Katastrophen - Wirbelsturm, Tornado, Hurrikan, Taifun, Zyklon - Schneesturm, Schneeverwehungen
Naturkatastrophen hat es seit Menschengedenken gegeben. Eine der bekanntesten der Weltgeschichte ist die Zerstörung der Städte Pompeji und Herculaneum am 24. August 79 n. Chr. durch den Ausbruch des Vulkans Vesuv, deren in Lava gegossene Folgen wir heute noch besichtigen können. Die meisten Katastrophen sind weniger spektakulär und werden von der Weltöffentlichkeit bald wieder vergessen bzw. verdrängt (wenn sie überhaupt bekannt wurden). Doch ziehen sich Naturkatastrophen wie ein rotes Band durch die Menschheitsgeschichte. Wer kann sie zählen, die Millionen von Toten, Verwundeten, Obdachlosen, auseinandergerissenen Familien oder Menschen, die "nur" ihren Besitz, Haus und Gut verloren haben? Wer kann das Leid, die Ängste und Schmerzen dieser Opfer ermessen? Hier zeigt sich die Natur wirklich von einer ihrer häßlichsten Seiten, gewalttätig, brutal, grausam, tödlich. Um nur für eine Art von Naturkatastrophen eine konkretere Information über die Todesopfer zu geben, folgt eine Übersicht der schwersten Erdbeben der Geschichte (entnommen dem Lexikon "Ich sag Dir Alles"):
In den letzten Jahren scheint es eine Zunahme von Stürmen und Überschwemmungen, Hitze- und Kältewellen zu geben, vor allem in den USA: Kältewellen im Osten und Mittelwesten mit Minustemperaturen von über 50 Grad, Überschwemmungen am Mississippi, Wirbelsturm Andrew, 300 Kilometer Waldbrände in Kalifornien, außerdem im Januar 1994 ein Erdbeben in Los Angeles, glücklicherweise nicht das seit Jahren befürchtete "the big one". Während ich diese Zeilen - im Juli 1995 - schreibe, tobt eine Hitzewelle; besonders betroffen ist Chicago mit Temperaturen bis 42 Grad im Schatten. Jeden Tag neue Todesmeldungen: 347, über 440, fast 700, mehr als 800. (Und während ich diese Seite überarbeite - im Januar 1996 -, ist die Ostküste Amerikas von dem schlimmsten Schneesturm seit Jahrzehnten betroffen.) Auch in Deutschland registriert man vermehrt katastrophenartige Naturentwicklungen. Im Vordergrund steht das nun jährliche Hochwasser, etwa an Rhein und Mosel. Aber auch die unangenehmen heißen Sommer der letzten Jahre, mit hohen Ozonwerten, sind für gesundheitlich geschwächte Menschen bedrohlich oder sogar tödlich. Allgemein haben viele den Eindruck, daß das Wetter verrückt spielt. Es ist umstritten, inwieweit gerade Stürme, Überschwemmungen und Hitzeperioden durch Umweltverschmutzung beeinflußt sind, nämlich durch die geringe Erwärmung der Atmosphäre aufgrund von Treibhausgasen. Extreme Wetterverhältnisse hat es auch schon früher gegeben, vielleicht handelt es sich dabei einfach um Launen der Natur. Übrigens gibt es auch giftige klimarelevante Emissionen aus Vulkanen, die Natur betreibt also selbst Luftverschmutzung. Nach Ralf Schauerhammer übersteigen diese natürlichen Emissionen sogar die industriellen Verschmutzungen. In seinem Buch "Sackgasse Ökostaat" schreibt er: "Jahr für Jahr speit 'Mutter Natur' aus Vulkanen etwa 20-mal mehr Chlorgase in die Atmosphäre, als die Menschheit durch ihre FCKWs produziert. Jahr für Jahr befördert die Natur 300-mal mehr Chlorgase aus dem Salzwasser der Meere in die Atmosphäre, als die Menschheit durch ihre FCKWs produziert." Jedenfalls ist unbestreitbar, daß die Erde schon lange vor der Industrialisierung furchtbare Katastrophen verursacht hat. Und erlauben Sie mir den ironischen Schwenker: Der verheerende Meteoreinschlag vor 60 Millionen Jahren hatte bestimmt auch nichts mit unserer Zivilisation zu tun. In dem Buch "Der Planet schlägt zurück", einer Art Zukunftstagebuch, entwirft der Autor Anton-Andreas Guha ein Szenario zukünftiger Katastrophen, wie sie bis heute in Europa unbekannt sind. "28. Januar 2000, mittags. In der Nacht hat es begonnen: Fast stündlich mehrere Erdrutsche in der gesamten Alpenregion. Wie eine Verschwörung unheimlicher Gewalten, Schlag auf Schlag. Ganze Täler sind eingeebnet, Städte und Dörfer unter Schlamm und Geröllmassen begraben. Alle Verbindungen abgerissen. Hunderttausende vermißt, kaum ein Lebenszeichen, wahrscheinlich tot. Unausdenkbar! Die Erdlawinen bilden rasch wachsende Stauseen, in die sich reißende Flüsse stürzen. Die werden alles mit sich fortspülen. Italien, Österreich, Frankreich, die Schweiz und Deutschland mobilisieren ihre Streitkräfte für die Katastrophenhilfe. Der Bundeskanzler spricht von der größten Katastrophe, die Europa sei dem Zweiten Weltkrieg heimgesucht habe." Für Guha ist das aber keine "Naturkatastrophe", sondern ein berechtigtes, legitimes "Zurückschlagen" der Natur, das wir durch die Zerstörung des natürlichen Gleichgewichts verschuldet haben. Doch selbst wenn manche Naturkatastrophen von uns Menschen verursacht sind und in Zukunft verursacht werden, wenn sie partiell durch unsere Technik bedingt sind, was nützt die Klage? Wir können die Uhr nicht zurückdrehen, wir können nicht mehr ohne Technik leben. Und wichtig ist doch zu sehen, daß weniger industrialisierte Staaten solchen Katastrophen viel hilfloser gegenüberstehen als hochtechnisierte. Zurück zur Anfangsfrage dieses Kapitels: Ist die Natur sanft zu uns? Ist sie eine liebevolle Mutter, die uns ernährt, kleidet und behaust, uns eine Heimat gibt? Ja, ein bißchen ist sie das auch. Aber daneben gibt es - viel gewaltiger - eine schreckliche Seite oder viele schreckliche Seiten. Und gegen die müssen wir uns wappnen, mit aller Kraft, wenn wir nicht untergehen wollen. Für die früher lebenden Menschen waren diese Schrecken der Natur eine Selbstverständlichkeit, man brauchte sie wahrlich nicht daran zu erinnern. Aber für uns Leute von heute, naturentwöhnt wie wir sind, und naturverliebt, wie viele sind, für uns sind diese harten Tatsachen sehr in den Hintergrund getreten, verschwinden fast hinter einem postkartengleichen idyllischen Naturbild. Nur eine Naturkatastrophe weckt die Menschen bei uns noch aus diesem dogmatischen Schlummer. Mir ist es wichtig, deutlich, aber doch viel sanfter als eine Katastrophe, diesen Naturrealismus unserer Vorfahren wieder ins Bewußtsein zu heben. Übrigens entsprechen den Schrecklichkeiten der äußeren Natur auch innere Abgründe, "Naturkatastrophen" in uns drinnen. Wir werden nicht umhin können, uns auch mit diesen zu konfrontieren. Aber zunächst noch eine notwendige Klarstellung.
Belebte und unbelebte Natur - Ungleiches Paar
Mancher Leser mag beim letzten Punkt gedacht haben: Wenn die Natur ohnehin stirbt, warum soll man sich noch so ausführlich mit ihren Gefahren für uns Menschen beschäftigen? Damit müßte es doch bald vorbei sein. Nach dem Motto: keine Natur mehr, keine Naturgefahren mehr. Aber abgesehen davon, daß auch die früheren Erfahrungen des Menschen mit seiner natürlichen Umwelt für uns heute von Bedeutung sind, ist das mit dem Aussterben der Natur doch etwas komplizierter. Ich habe bisher pauschal von der Natur gesprochen, den Begriff "Natur" nicht weiter differenziert. Das war auch berechtigt, um die Gesamtaussage klar zu formulieren und nicht durch ständige Unterscheidungen zu verwässern. Andererseits sind so einige Simplifizierungen entstanden. Vielleicht haben Sie auch manchmal gedacht, die Aussagen sind zu unkonkret. Das soll jetzt nachgebessert werden. Die wichtigste hier zu treffende Unterscheidung ist die zwischen belebter und unbelebter Natur. Man kann auch von organischer und anorganischer Natur sprechen oder von Lebewesen und Umwelt; allerdings ist das letztgenannte Begriffspaar nur bedingt tauglich. Denn "Lebewesen" beziehen wir nur auf Individuen, wir nennen ein Kollektiv wie den Wald nicht ein Lebewesen; und "Umwelt" kann auch für die ganze Natur stehen, nicht nur für die unbelebte. Eindeutig die unbelebte Natur bezeichnen aber noch Begriffe wie Naturelemente, Naturkräfte oder Naturgewalten. Wie wir schon kurz besprochen haben, gehören zur belebten Natur Pflanzen und Tiere, von daher auch - mit Einschränkungen - der Mensch. Es sind außerdem Mikroorganismen wie die Bakterien zu nennen, die, zusammen mit den Blaualgen, als Prokaryonten den Tieren und Pflanzen gegenübergestellt werden. Zur belebten Natur zählen wir dabei auch Kollektive von Pflanzen bzw. Landschaften wie Wald, Wiese und Acker oder Savanne, Steppe und Tundra. Ebenso Tierkollektive, also Gruppen, Rudel und Herden, wobei in einer Region (einem Biotop) normalerweise eine aufeinander abgestimmte Lebensgemeinschaft von Pflanzen und Tieren besteht; heute nennt man das ein Ökosystem. Zur unbelebten Natur gehören Luft (und andere Gase), Wasser (und andere Flüssigkeiten), sowie "Erde" mit Mineralien, Gesteinen und Sand bzw. sonstige Bodenarten (und andere Festkörper). Ähnlich unterteilten schon die antiken griechischen Philosophen die Natur in vier Elemente: Feuer, Wasser, Luft und Erde. Wir wissen heute allerdings, daß diese "Grund-stoffe" aus verschiedenen Stoffen zusammengesetzt sind, zum Beispiel die Luft aus ca.: 78 % Stickstoff, 21 % Sauerstoff, 0,9 % Edelgasen, 0,03 % Kohlendioxid und unterschiedlichen Mengen von Wasserstoff; seit Beginn der Industrialisierung kommen immer mehr Staub, Stickstoff- und Schwefelverbindungen, Abgase und Schwebstoffe hinzu. Belebte und unbelebte Natur lassen sich allerdings nicht eindeutig voneinander unterscheiden und abgrenzen. Das hängt mit der Schwierigkeit zusammen, klar zu definieren, was genau das Leben ausmacht. Oft werden Merkmale wie Fortpflanzung, Stoffwechsel, Bewegung und Vererbung genannt. Nach diesen Kriterien stehen "Lebewesen" wie Viren, die keinen eigenen Stoffwechsel besitzen, eigentlich an der Grenze von Belebtem und Unbelebtem. Andererseits erfüllen Kristalle, die man üblicherweise als unbelebt ansieht, einige solcher Bedingungen, zum Beispiel Wachstum. Man spricht heute generell von einer Selbstorganisation der Materie bzw. einer "Selbstorganisation des Universums" (Erich Jantsch), wobei sich aus einfachen Bausteinen immer komplexere Strukturen organisieren, bis hin zu lebenden Systemen, also Lebewesen. Früher bestand die Auffassung, es gäbe eine Lebenskraft oder eine Art Lebensfunken, der Lebewesen von toter Materie unterscheide. Dieser "Vitalismus" ist jedoch wissenschaftlich erledigt. Erst recht muß aus Sicht der Wissenschaft der "Animismus" abgelehnt werden. Es handelt sich um eine Glaubenslehre, die für Naturvölker typisch ist, aber auch heute noch innerhalb der Esoterik vertreten wird. Danach gilt überhaupt alles, also auch ein Gestein und Gebirge, als belebt und beseelt. Selbst wenn es gelänge, belebte und unbelebte Natur begrifflich klar voneinander zu trennen, in der Realität kommen sie doch zusammen. Auf einer Wiese liegen auch Steine, und auf einem Felsboden wachsen auch Gräser. In Erde, Wasser und Luft tummeln sich überhaupt unzählige, für uns unsichtbare Mikroorganismen oder Kleinstlebewesen. Zum Beispiel soll es in einem Gramm Ackerboden mehr Mikroorganismen geben als Menschen auf der Erde leben. Die sogenannte Gaia-Hypothese, benannt nach der griechischen Erd-Göttin Gaia (Gäa), behauptet sogar, die Erde sei als Ganzes ein Lebewesen, weil Organisches und Anorganisches miteinander eine Einheit bildeten, die Lebensfunktionen wie Atmung oder Stoffwechsel aufweise. Auch wenn man von dieser spekulativen Theorie absieht, offensichtlich ist: Es gibt Unbelebtes, das aus ursprünglich Belebtem entstanden ist, wie das Erdöl, welches auf Mikroorganismen zurückgeht. Andererseits bestehen auch Lebewesen letztlich aus unbelebter Materie. So sind die Atome, aus denen der Körper des Lebewesens Mensch besteht, ihrerseits sicher nicht belebt. Doch obwohl die - begriffliche wie reale - Abgrenzung von belebter und unbelebter Natur Probleme bereitet, so bleibt diese Unterscheidung wichtig, für unser Thema ist sie sogar besonders wichtig. Denn die meisten der hier vertretenen Aussagen müssen differenziert werden, je nachdem, ob sie sich auf die belebte oder unbelebte Natur, auf Lebewesen oder Naturelemente beziehen. Sie gelten in erster Linie für das Leben in der Natur, nur sekundär für die anorganischen Elemente und Kräfte. Das soll im folgenden gezeigt werden.
Stirbt die Natur wirklich?
Ich war ausgegangen von der Feststellung, daß die Natur stirbt. Doch was bedeutet das ganz konkret? Unbelebtes wie Wasser, Luft oder Mineralien kann nicht wirklich sterben. Nur Lebewesen können erkranken und sterben. Wir sprechen zwar davon, daß ein Fluß oder ein Meer stirbt, aber das gilt nur im übertragenen Sinn. Eigentlich meinen wir, daß die Wasserpflanzen und Wassertiere zugrunde gehen. Auch der Planet Erde als Ganzes "stirbt" nicht, selbst wenn alle Lebewesen auf ihm ausstürben. Er existierte ja bereits - als rein anorganischer Himmelskörper -, ehe das erste Leben auf ihm entstand. Allerdings können sich Naturelemente wie Wasser und Luft durch Schadstoffe stark verändern, so sehr, daß sie ihre natürlichen Funktionen für die Lebewesen kaum mehr ausüben können. Auch ist es möglich, daß bestimmte Flüsse versiegen oder bestimmte Berge abgetragen werden, daß wir manche Bodenschätze aufbrauchen und daß in der Atmosphäre einige Gase verschwinden wie beim viel genannten Ozonloch. Aber daß die ganze Umwelt sich auflöst und damit "stirbt", so etwas kann nicht geschehen - und insofern sterben auch Naturkatastrophen wie Erdbeben oder Überschwemmungen leider nicht aus. Denkbar wäre ein menschengemachter "Erduntergang" nur, falls der Planet in einem kaum vorstellbaren gigantischen Atomwaffenkrieg zerstückelt oder gesprengt würde. Wenn wir in kosmischen Zeiträumen denken, sieht die Situation allerdings anders aus. Nach heutiger Auffassung wird "der blaue Planet" in einigen Milliarden Jahren untergehen, wenn sich nämlich unsere Sonne zu einem roten Riesenstern aufbläht und dabei die Erde auf über 1000°C erhitzt, also "verkocht". Und falls sie das übersteht, so kommt ihr end-gültiges Aus mit dem Erlöschen des Alls. Denn auch für das gesamte Universum sagt man in zig Milliarden Jahren ein Ende voraus, meist thermodynamisch als sogenannter Wärmetod interpretiert. (Dagegen ist es denkbar, daß Naturstrukturen wie Raum und Zeit oder Naturgesetze bis in alle Ewigkeit existieren.) Aber die Rede vom Tod der Erde oder des Kosmos ist eine Analogie, im Grunde beziehen sich die Begriffe "sterben" oder "Tod" nur auf Lebewesen. Davon abgesehen, was in etlichen Milliarden Jahren passieren wird, darüber brauchen wir uns kaum schon heute Sorgen zu machen. Auch bei der belebten Natur ist die Sterbe-Theorie zu präzisieren. Zwar ist sie insgesamt richtig, doch es gibt viele Unterschiede und sogar gegenläufige Tendenzen. Denn biolo-gische Arten sind unterschiedlich widerstandsfähig gegen die Umweltvergiftungen. Sicherlich findet im Ganzen ein Artensterben statt, doch manche Pflanzen und Tiere vermehren und verbreiten sich (erst einmal) rasant, gerade weil sie vom Tod anderer Arten profitieren. Besonders Mikroorganismen wie Krankheitserreger sind nahezu unverschämt lebendig und vermehrungsfreudig. Zum Beispiel verbreiten sich die Aids-Viren, deren Aussterben wohl jeder begrüßen würde, beängstigend schnell. Viele solcher Erreger sind nur allzu lebenskräftig und bilden ständig neue Varianten. Daher ist es so schwierig, sie wirksam zu bekämpfen. Außerdem bilden Bakterien eine Resistenz gegen Antibiotika aus. Das altbekannte Penicillin ist mittlerweile bei den meisten Bazillen wirkungslos. Nein, solche Lebewesen werden wohl nur aussterben, wenn es uns gelingt, sie systematisch zu liquidieren. Ähnlich sieht es bei den Insekten aus. Sie werden oft immun gegen die Insektizide, die Insektenvernichtungsmittel. Bis heute ist DDT das bekannteste Insektengift, obwohl es inzwischen in vielen Ländern verboten wurde. Nicht nur, daß DDT gegen immer weniger Insekten nützt, sondern es gibt Insekten, die ernähren sich mittlerweile von DDT. Vor allem die unglaubliche Anpassungsfähigkeit solcher Organismen hat zu Prognosen geführt, daß eines Tages ein Weltkrieg der Menschen gegen die Insekten und/oder Mikroorganismen stattfinden wird, bei dem die Menschheit unterliegen muß. Selbstverständlich spielt auch der Standort beim Natursterben eine Rolle. In den wenig industrialisierten Ländern, in der Dritten Welt, ist noch weit mehr Natur erhalten als bei uns. Allerdings gibt es dort weniger Schutzbestimmungen, oder sie werden nicht eingehalten, wie man am radikalen Abholzen der Regenwälder sieht. Und wenn die Regenwälder sterben, dann sterben mit ihnen viele Tiere, die dort ihren Lebensraum haben. Tausende Tierarten existieren ausschließlich in den Regenwäldern; wenn diese umgesägt werden, sterben sie unweigerlich aus. Auch in den Industriestaaten selbst finden sich mehr oder weniger belastete Gegenden. Logischerweise sind die Industriestandorte wie das Ruhrgebiet am meisten der Umweltverschmutzung ausgesetzt. Allerdings gilt nicht unbedingt, daß die Natur im nahen Umkreis der Fabrikschlote am stärksten geschädigt ist, weil die Schadstoffe durch die hohen Schornsteine weit ins Land "geblasen" werden und dort womöglich größere Schäden anrichten.
Der Mensch als "Schöpfer"
Schließlich sind die gezielten Eingriffe des Menschen in die Tier- und Pflanzenwelt von großer Bedeutung. Manche Tiere wie die Büffel hat der Mensch durch die Jagd quasi ausgerottet (jedenfalls in freier Wildbahn). Andere, insbesondere Nahrungstiere wie Schwein, Rind und Geflügel züchtet er in Massen; sie werden kaum aussterben, solange wir diese "Produktion" von Fleisch, Milch und Eiern weiterbetreiben. Allerdings können sie durch Krankheiten wie die Schweinepest oder den Rinderwahnsinn erheblich dezimiert bzw. in großer Zahl notgeschlachtet werden (wie bei den Massenschlachtungen 1996 in England wegen neuer Erkenntnisse über die Gefährlichkeit von BSE für den Menschen). Auch unsere geliebten und gehätschelten Haustiere, Bello, Mausi und Piepmatz sind nicht vom akuten Artentod bedroht; auf lange Sicht ist durch die zunehmende Umweltvergiftung ihr Überleben aber sehr unwahrscheinlich. Entsprechend geht es bei den Pflanzen zu: Viele Wildpflanzen sind für den Menschen ohne große Bedeutung. Er kümmert sich nicht um sie, und das hat zumeist zur Folge, daß sie durch die Umweltverschmutzung kränkeln oder schließlich zugrunde gehen. Bestimmte Pflanzen - "Unkräuter" - vernichtet der Mensch gezielt oder versucht es zumindest. Wieder andere, Nahrungs- und Zierpflanzen, baut man an, düngt und schützt sie: diese stehen somit gegenwärtig nicht auf der "Todesliste". Über die konkreten Zahlen des Artentods schreibt Richard D. Precht in dem Artikel "Archiv des Lebens" (KÖLNER STADT-ANZEIGER 6./7. April 1996): "Nach Angaben der UNO hat der Mensch in den letzten fünfzig Jahren rund die Hälfte aller Tier- und Pflanzenarten vernichtet." "Sicher ist ..., daß seit Beginn des 20. Jahrhunderts bereits einige Millionen Arten von der Erde verschwunden sind..." Wie sich die Situation durch Gentechnik verändern wird, ist noch ungewiß. Einerseits können Pflanzen wie Tiere durch Einschleusung fremder Gene widerstandsfähiger gemacht werden. Andererseits ist auch nicht auszuschließen, daß man sie dabei ungewollt gegen andere Schädigungen verletzbarer macht, ihnen sogar eine tödliche Schwäche "einimpft", wodurch sie plötzlich und mit großer Geschwindigkeit aussterben. Die Gentechnik ist aber auch sonst von Bedeutung für unser Thema. Wenn man einem Tier oder einer Pflanze fremde Gene einpflanzt und sie dadurch verändert, kann man davon von einer Arterhaltung sprechen? Ist ein Schwein, dessen Fleisch mittels Rinderwachstumsgenen besonders mager gemacht wird, überhaupt noch ein Schwein? Gehört ein solches transgenes Tier noch zur Natur? Durch den Roman bzw. Film "Jurassic Park" wurde eine andere Anwendung der Gentechnik bekannt: die Rückzüchtung ausgestorbener Tierrassen, in diesem Fall die - allerdings wenig beglückende - Rückzüchtung von Dinosauriern. So etwas ist bis heute technisch noch nicht möglich. Sehr wohl machbar ist dagegen, Zellen, z. B. Samenzellen von Lebewesen, die vom Aussterben bedroht sind, tiefzufrieren und in einer Samenbank zu lagern, um eventuell später einmal neue (alte) Lebewesen zu ziehen. Als Fazit können wir festhalten: Die unbelebte Natur befindet sich in einem starken Wandel, der ihre Funktionen, ihren Nutzen für die Lebewesen einschließlich der Menschen stark reduziert. Die belebte Natur befindet sich insgesamt in einem Krankheitsprozeß, auf den Punkt gebracht: Sie stirbt. Das gilt aber nicht gleichermaßen für alle Lebewesen: Manche sterben schneller, andere langsamer aus. Manche können sich bisher auch halten oder vermehren sich sogar. Insofern kann schon prinzipiell kein exakter Todestermin für die ganze Natur genannt werden; viele Arten sind bereits ausgestorben, andere sterben heute aus, wieder andere sicherlich in der Zukunft, noch andere vielleicht auch gar nicht. Der Mensch ist zwar ebenfalls von diesem Untergangsstrudel bedroht, aber er verfügt als wohl einziges Lebewesen über gezielte, intelligente Methoden, sich dem Sog zu entziehen.
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